Frevel: Roman (German Edition)
recht.« Dieser neue Plan gefällt mir nicht; mir fällt auf, dass Fowler in Bezug auf Douglas überempfindlich ist, obwohl er in einem Punkt Recht hat – die Fahrt zu Walsingham und zurück würde Stunden dauern.
»Denkt doch daran, wie viel besser wir dastehen würden, wenn wir den Mann gleich an Burghley ausliefern«, zischelt er.
»Wo soll es denn hingehen, die Herren? Hier, nehmt das.« Der Bootsmann wirft uns ein Seil zu. Es landet mit einem nassen Klatschen auf dem Anlegesteg, wo ich es aufhebe und straffziehe.
»Über den Fluss«, antwortet Fowler, bevor ich zu Wort komme, steigt in das Boot und zupft seinen Umhang zurecht. »Setzt uns am Dock von St. Mary Overy hinaus.«
»Oh, aye? Kleiner Ausflug nach Southwark, meine Herren?« Das Lampenlicht verzerrt das lüsterne Grinsen des Mannes. Ich klettere vorsichtig hinter Fowler in das Boot. Die Kissen scheinen die gesamte Kälte und Feuchtigkeit der Luft aufgesogen zu haben und leiten sie jetzt durch meine Hose auf meine Haut. »Ihr werdet um einige Schillinge ärmer zurückkommen, das garantier ich Euch. Passt bloß auf, dass Ihr nicht von einer Winchestergans gebissen werdet, eh?« Er stößt ein meckerndes Lachen aus, als er das Boot mit einem Ruder vom Steg abstößt.
»Was für eine Gans?« Ich sehe Fowler verwirrt an, woraufhin ein dünnes Lächeln um seine Lippen spielt.
»Das ist eine Umschreibung dafür, sich die Syphilis zu holen. Eine Winchestergans ist eine Hure – so genannt, weil der Bezirk nominell unter die Gerichtsbarkeit des Bischofs von Winchester fällt, der die Konzessionen für die Hurenhäuser erteilt.«
Ich blinzele zu dem nebelumwaberten Südufer des Flussess hinüber. Southwark, das Viertel außerhalb der Mauern und Gesetze der Stadt, wo eine Halbwelt aus Bordellen, Spielhäusern und Spelunken existiert, die illegale Kämpfe – von Menschen und Tieren – veranstalten, hat sich wie ein giftiger, wuchernder Pilz am Flussufer ausgebreitet. Wer mit Hehlerware und illegalen Büchern handelt, tut das in den Schänken von Southwark. Piraten, Räuber, Huren, fahrende Schauspieler und verkappte Priester treffen hier auf Ratsherren, Anwälte und Höflinge in verschiedenen Verkleidungen, die die verbotenen Früchte des Bezirks genießen wollen. Gleich unmittelbar nach meiner Ankunft in England hatte mich Castelnau bereits beschworen, mich von Southwark fernzuhalten; in diesen Straßen würde man Ausländern nur zum Spaß die Kehle durchschneiden, warnte er, vor allem Männern, die so aussähen wie ich. Und da ich als Flüchtling in Italien genug solcher Straßen gesehen hatte, habe ich seinen Rat weitgehend befolgt. Kein Wunder, dass Fowler damit rechnet, Douglas dort zu finden. Als der Fährmann die Jolle dreht und beginnt, sich in die Riemen zu legen, um uns flussabwärts zu rudern, überkommt mich eine Vorahnung drohenden Unheils. Da ich sogar bereits vor Einbruch der Dunkelheit in einer der Hauptstraßen der Stadt angegriffen worden bin, wo der Täter damit rechnen musste, von der Stadtwache ertappt zu werden, ist es vermutlich ausgesprochener Wahnsinn, sich im Dunkeln in das berüchtigteste Viertel Londons zu wagen. Ich betrachte Fowlers Profil. Er blickt entschlossen auf das Wasser hinaus, die Augen fest auf das andere Ufer geheftet, eine Hand ruht leicht auf dem Griff seines Schwertes. Wenigstens bin ich diesmal nicht allein, denke ich und frage mich aufs Neue, wer vorhin den rettenden Bolzen abgefeuert hatte.
Die Landungstreppen von St. Mary Overy sind schmal und glitschig. Ich bezahle dem Bootsmann seinen Schilling und folge Fowler, der die Stufen vorsichtig erklimmt. Mit einer Hand stützt er sich an der Kaimauer ab, in der anderen hält er die Laterne. Ein Fehltritt, und wir könnten in das dunkle Wasser unter uns stürzen. Oben gelangen wir auf ein offenes, schlammiges Gelände, von dem zwei schmale Straßen in südlicher Richtung abzweigen. Jede ist mit zwei- und dreistöckigen Gebäuden gesäumt, die eng beieinanderstehen und sich derart nach vorne neigen, dass ihre Giebel sich fast in der Mitte berühren. Ein paar dieser Häuser sind auffällig weiß getüncht, um sie als Freudenhäuser kenntlich zu machen. Fowler deutet nach rechts; ich folge ihm und halte mich so dicht hinter ihm, dass ich Gefahr laufe, im Nebel gegen ihn zu prallen. Trotz der Kälte sind zahlreiche Menschen unterwegs; ausgelassene Gruppen junger Männer, die einander die Arme um die Schultern geschlungen haben und Seemannslieder oder ihre eigenen
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