Frevel: Roman (German Edition)
Deutung, die über die momentan existierende Trennung zwischen Katholiken und Protestanten hinausgeht, die so viel unnötiges Leid verursacht hat. Ich hoffe, dass Königin Elisabeth imstande ist, meine Ideen zu verstehen – wenn ich einen Weg finde, ihr meine Theorien zu unterbreiten. Zu diesem Zweck habe ich so viel Zeit wie möglich in Dees Bibliothek verbracht und mich mit den noch vorhandenen Schriften von Hermes Trismegistos, der Neoplatoniker und anderen geheimen, mit hart erworbenem Wissen und alter Weisheit gefüllten Büchern befasst – Büchern, von denen Dee die einzige Kopie besitzt.
Aber seit der Nacht von Sidneys Hochzeit und dem Mord an Cecily Ashe bin ich aus der Welt der Ideen und Theorien herausgerissen worden; die grausame Tat geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Meine Gedanken wollen nicht zur Ruhe kommen, daher habe ich ein Buch mit in den Garten hinausgenommen, wo ich aber bis jetzt nichts anderes tue, als mit den Füßen in dem Laub zu scharren und über das Bild von Cecily Ashe nachzugrübeln, wie sie in ihren Männerkleidern ausgestreckt auf einem Bett im Richmond Palace dalag, mit verzerrtem und zerschlagenem Gesicht und einem in die Brust geritzten mysteriösen Zeichen. Mit derartigen Todesfällen habe ich eigentlich nichts mehr zu schaffen, und doch nagt die Erinnerung an ihren Leichnam an mir. Letzte Nacht habe ich von dem Mord geträumt; geträumt, ich würde eine schattenhafte Gestalt mit einem Kruzifix über einen in Nebel gehüllten verlassenen Friedhof jagen, bis sie sich endlich umdreht und ich unter der Kapuze das Gesicht von Doktor Dee erkenne.
Dieser jüngste Mordfall lässt mich zu sehr an die üblen Vorkommnisse denken, deren Zeuge ich im Frühjahr in Oxford geworden bin; es handelt sich nicht um eine aus der Hitze des Augenblicks heraus verübte Gewalttat, sondern um ein kaltblütiges Tötungsdelikt, das als Symbol, als Warnung gemeint ist. Aber als Warnung wovor? Und wenn der junge Verehrer dahintersteckt, den Abigail erwähnt hat … wie detailliert er das alles geplant haben muss! Einem jungen Mädchen fast einen Monat lang den Hof zu machen, es mit schönen Worten und teuren Geschenken allein in der Absicht zu umwerben, ihren kalten Leichnam gleichsam als leeres Blatt zu hinterlassen, auf das er mit ihrem Blut seine eigene Botschaft schreiben kann. Ich stelle mir das Mädchen Cecily vor, ihre Freude an der heimlichen Liaison, die Abigail beschrieben hat, die Unschuld dieser ersten Liebe mit siebzehn, ohne dass sie ahnen konnte, dass sie damit ihren eigenen Untergang heraufbeschwor. Vielleicht unweigerlich folgen meine Gedanken diesem Weg zu einer anderen jungen Frau, deren Leben durch die Liebe zerstört wurde: Sophia, das Mädchen in Oxford, das kurz mein Herz berührt hat, ohne dass ich wusste, dass sie das ihre bereits einem Mann geschenkt hatte, der sie dann betrogen und fast getötet hat. Und wie um mein Unbehagen zu verlängern wandern meine Erinnerungen noch weiter zurück, zu Morgana, der Frau, die ich vor zwei Jahren in Toulouse geliebt hatte. Sie hatte meine Liebe erwidert, aber da ich weder über das Geld noch über den Rang verfügte, um sie zu heiraten, brach ich eines Nachts heimlich nach Paris auf, ohne mich zu verabschieden. Ich dachte damals, ich würde das Richtige tun – es ihr ermöglichen, den Mann zu heiraten, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte, und ein sorgenfreies Leben zu führen, aber auch sie starb vor ihrer Zeit. Wurde ihr Leben auch verfrüht beendet, weil sie sich verliebt hatte?
Ich werde es nie erfahren, aber ich erinnere mich an den Blick, den Walsingham und Burghley über den Leichnam von Cecily Ashe hinweg gewechselt haben, und verspüre eine tiefe Erleichterung darüber, keine Tochter zu haben, um die ich fürchten muss. Trotz der für die Jahreszeit ungewöhnlichen Wärme erschauere ich. Die Verletzlichkeit dieser Mädchen, die Arglosigkeit, mit denen sie Männern ihr Vertrauen schenken … wenn ich ein Mann des Gebets wäre, würde ich beten, dass Abigail nichts geschehe. Doch so, wie sich die Lage gegenwärtig darstellt, kann ich nur hoffen, dass der Mörder glaubt, seine Botschaft wäre verstanden worden. Wenn nicht, könnte er auf den Gedanken kommen, sie noch einmal niederzuschreiben.
All diese Grübeleien haben mich zum Ende des Gartens geführt. Als ich kehrtmache und den Pfad entlang zum Haus zurückgehe, werde ich fast von einem kleinen, mit Bändern geschmückten Hund umgerannt, der einem Ball aus Lumpen nachjagt
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