Frevel: Roman (German Edition)
angesprochen zu werden, meine Schritte beschleunige. »Habt Ihr ihn gefragt?«
»Ihn was gefragt, Madame?«
»Also wirklich, Bruno – allmählich denke ich, ich sollte Euch in der Gedächtniskunst unterweisen. Wegen unserer Unterrichtsstunden!«
»Ah. Es tut mir leid, aber dazu war keine Zeit. Wir wurden unterbrochen.«
»So? Von wem denn?«
»Vom spanischen Botschafter.«
»Mendoza ist hier?« Sie wechselt einen Blick mit Courcelles. »Entschuldigt mich bitte, Gentlemen.« Ihre Röcke rascheln, als sie die Galerie entlangrauscht und verschwindet. Courcelles sieht mich an und zuckt auf seine aufreizende gallische Art die Achseln.
Der Samtbeutel liegt noch immer sicher unter dem Kissen. In dem Licht, das durch das Fenster fällt, lege ich die drei Gegenstände erneut auf das Bett. Das Spiegelglas hat sich gelockert, als es zu Boden gefallen ist, und ich nestele an dem Schildpattrücken herum, um zu sehen, ob ich es wieder befestigen kann. Es gibt mir einen Ruck, wie ich dabei feststelle, dass der Spiegel bewusst so konstruiert ist, dass man ihn auseinandernehmen kann. Behutsam löse ich das Glas aus der Fassung. Dahinter steckt ein quadratisches Stück Papier. Mit zitternden Fingern falte ich es auseinander und glätte es. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Jemand hat darauf die mir nur zu gut bekannten Symbole für Jupiter und Saturn gezeichnet und darunter ein Datum geschrieben: 17. November. Sonst nichts. Ich drehe das Papier um, halte es mir unter die Nase und schnuppere daran, falls es eine mit Orangensaft verfasste unsichtbare Botschaft enthielte, aber ich rieche nichts. Jetzt hämmert mein Herz fast schmerzhaft gegen meine Rippen; ich weiß noch nicht, was ich hier entdeckt habe, mit Sicherheit hat es jedoch etwas mit dem Mord an Cecily Ashe zu tun. Das Datum sagt mir nichts, muss aber zusammen mit den Planetensymbolen für denjenigen, der Cecily diese geheime Nachricht in dem Spiegel verborgen geschickt hat, eine Bedeutung haben. Höchstwahrscheinlich hat Cecily diese Bedeutung erkannt, als sie die Botschaft erhielt, obwohl sie wohl kaum geahnt haben konnte, dass sie den betreffenden Tag nicht mehr erleben würde.
Wenn der Spiegel eine geheime Nachricht enthalten hat, könnten die anderen Geschenke ebenfalls eine Bedeutung haben, die nur dem Absender und dem Empfänger bekannt war. Der Ring mit dem falsch geschriebenen Motto – dieser Fehler muss absichtlich gemacht worden sein. Sa Virtu M’Atire – aber wessen Tugend? Cecilys? Oder die von jemand anderem? Der Ring passt nur an meinen kleinen Finger; ich habe zwar schlanke Finger, aber das Schmuckstück wurde nicht für eine Männerhand angefertigt. Als ich ihn anstecke und die Hand drehe, um die Inschrift noch einmal genauer zu betrachten, bemerke ich dort, wo ich den Zeigefinger in das Parfüm getaucht hatte, einen roten Fleck. Die Haut ist zu einer Art Blase aufgeworfen, die juckt und brennt, als ich darüberreibe. Nicht gerade die Art von Parfüm, die man gerne benutzt, denke ich und bin erleichtert, dass ich es nicht gekostet habe; es muss aus billigen Ingredienzen bestehen, was mir merkwürdig vorkommt, weil die Flasche und die anderen Geschenke so kostbar wirken. Da trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag, ich springe auf, umklammere die Flasche mit der Faust und beginne im Raum auf und ab zu gehen. Unter meinem Kragen bricht mir der Schweiß aus. Ich muss mit irgendjemandem über meine Schlussfolgerungen sprechen – normalerweise würde ich mich jetzt an Sidney wenden, und zum ersten Mal vermisse ich ihn von ganzem Herzen. Ich weiß noch nicht einmal, ob er und seine junge Frau wieder in London sind, aber selbst wenn dies der Fall ist, kann ich mit ihm nicht mehr so engen Umgang pflegen wie damals in Oxford, wenn ich das Vertrauen erhalten will, das man mir in der Französischen Botschaft schenkt.
Wen kann ich dann einweihen? Direkt zu Walsingham kann ich damit nicht gehen, wiewohl er es war, der mich in den Tod von Cecily Ashe verstrickt hat; zumindest will ich nicht zu ihm gehen, bevor ich sicher bin, dass meine Theorie richtig ist. Dann ist da natürlich noch William Fowler; Walsingham hat ihn mir als Ersatz für Sidney geschickt, und vermutlich sollte ich ihm vertrauen, aber Fowlers unergründliche Reserviertheit weckt in mir längst nicht dieselbe Zuneigung wie Sidneys gutmütige Aufschneiderei. Schwer lasse ich mich erneut auf mein Bett sinken, und mir wird klar, wie sehr mir mein Freund fehlt; seine Heirat hat mir allzu deutlich
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