Frevel: Roman (German Edition)
Medaillon. Ich nehme an, sie hatte in der letzten Sekunde beschlossen, es für sich zu behalten. Deswegen wirkte sie wohl auch so schuldbewusst.«
Walsingham denkt einen Moment darüber nach.
»Vielleicht war sie töricht genug, es heute Abend bei Hof zu tragen«, mutmaßt er. »Wenn unser Mörder – oder derjenige, der den Mörder angeheuert hat – wirklich zu den Höflingen gehört, könnte er es an ihrem Hals gesehen und als das Medaillon erkannt haben, das er Cecily geschenkt hatte.«
»Auf jeden Fall hat Lord Burghley Recht.« Ich werfe dem Schatzmeister einen Blick zu. »Hinter diesen Morden steckt mehr als nur ein Mann. Derjenige, der den Jungen Jem im Hof angehalten hat, kann nicht derselbe sein, der zum Fluss gelaufen und den Küchenkanal hochgerudert ist, um Abigail zu treffen – das hätte er nicht rechtzeitig geschafft. Ich denke, er hat die angeblich von mir stammende Botschaft ausgerichtet und ist dann seelenruhig in die Halle zurückgegangen, um sich unter die Menge zu mischen, während jemand anderes mit einem Boot auf dem Fluss gewartet hat. Und ich könnte wetten, dass Jems großer Unbekannter in der Zeit, in der Abigail getötet wurde, vor den Augen der Königin und des gesamten Hofes dem Chor applaudiert hat.«
Walsingham seufzt, als er die Tür des kleinen Raumes schließt und den Riegel vorschiebt. Der Geruch des Flusses wird ein wenig schwächer.
»Ich brauche Beweise, Bruno. Bloße Verdächtigungen sind riskant, wenn es um so mächtige Leute geht wie die, an die wir hier denken. Ein Ring, ein Medaillon – Ihre Majestät wird wegen dieser Dinge nicht gegen ihre Base vorgehen, und Maria Stuart wird ohnehin behaupten, sie wären ihr von denen gestohlen worden, die ihr schaden wollen. Es scheint sicher zu sein, dass derjenige, der hinter diesen Morden steckt, am Hof gut bekannt ist. Und er ist gerissen. Er könnte noch immer planen, die Königin auf andere Weise aus dem Weg zu räumen. Wenn wir nur wüssten, wer Cecily Ashes Liebhaber war !« Er packt mich bei der Schulter, schüttelt sie leicht und bringt sein Gesicht nah an das meine heran.
Burghley hüstelt diskret.
»Wir sollten jetzt wirklich zurückgehen. Das Konzert muss fast zu Ende sein, und der französische Botschafter und seine Begleiter werden sich über Doktor Brunos Abwesenheit wundern. Francis – du kehrst mit Bruno in die Halle zurück. Ich werde dafür zu sorgen versuchen, dass die Diener und Wachposten, die von dieser schrecklichen Geschichte wissen, sich erst dann blicken lassen, wenn sämtliche Gäste gegangen sind. Sollen die Gerüchteverbreiter nur bis morgen warten, bevor sie ihre Zungen in Bewegung setzen.« Er saugt die Wangen ein und bedeutet uns schroff, ihn allein zu lassen.
Walsingham und ich überqueren den Küchenhof, der jetzt ganz im Dunkeln liegt, und gehen zu dem Gang zurück, durch den wir gekommen sind.
»Der Mörder verfolgt Euch, Bruno«, sagt er leise über seine Schulter hinweg. »Er wusste, dass dieser Küchenjunge Euch in Salisbury Court aufgesucht hat.«
»Wenn er nicht schon in Salisbury Court war.«
»Wahrlich ein Schlangennest, da stimme ich Euch zu. Dort könnten wir zweifellos die nötigen Beweise finden. Haltet die Augen offen, Bruno – nur Ihr könnt das Material beschaffen, das einen oder alle von ihnen des Verrats überführt. Doch seid vorsichtig. Der Täter muss wissen, dass Ihr ihn jagt. Und wenn Ihr auf noch etwas stoßt – egal wie unwichtig es Euch vorkommt –, bringt Ihr es so schnell wie möglich zu mir. Verstanden?«
»Ja, Euer Gnaden.« Betreten senke ich den Kopf.
Er bleibt so abrupt stehen und dreht sich zu mir um, dass ich gegen ihn pralle. »Da ist noch etwas, das ich Euch fragen muss, Bruno.« Er blickt sich um und dämpft seine Stimme noch mehr. »Habt Ihr John Dee jemals von Visionen sprechen hören? Von Einblicken in die Zukunft, die ihm Engel gewähren und solche Sachen?«
Ich zögere. Mögliche Antworten bleiben mir im Hals stecken. Gegen meinen Rat muss Dee der Königin von Kelleys Vision von der rothaarigen Frau in dem weißen Kleid erzählt haben, als sie ihn am Abend zuvor zu sich bestellt hat. Der alte Narr, denke ich zornig, allzu stolz ist er, allzu sehr darauf erpicht, Eindruck zu schinden. Ich würde auch meinen Kopf darauf verwetten, dass er Ned Kelley überhaupt nicht erwähnt, sondern die Vision als die seine ausgegeben hat; er will die Königin unbedingt in dem Glauben lassen, dass nur ihm allein die Gabe zuteilwurde, mit Engeln sprechen zu
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