Frevel: Roman (German Edition)
Art.«
»Wir müssen diesen Kelley um jeden Preis finden. Er wird uns sagen, woher er die Einzelheiten dieser Tat kannte – freiwillig oder gezwungenermaßen. Jedenfalls stammt sein Wissen nicht von einem Geist in einem Kristall, so viel steht fest.«
»Glaubt Ihr nicht, dass die Welt mehr Geheimnisse birgt, als unsere Augen allein enthüllen können, Euer Gnaden?«, frage ich mit einem leisen Lächeln, sein Gesicht bleibt dennoch ernst.
»Nicht in dem Sinn, wie Dee oder die Königin oder sogar Ihr selbst daran glaubt, Bruno. Ich habe in meinem Leben genug gesehen, um davon überzeugt zu sein, dass Gott uns unseren Verstand geschenkt hat, damit wir ihn benutzen, und dass das Böse nur den Herzen der Menschen entspringt. Aber dieser Kelley muss verhört werden. Ich werde meine Leute ausschicken, um ihn aufzuspüren.«
»Wenn Ihr das tut, wird er endgültig untertauchen. Hier muss man behutsam vorgehen – er wird seine Geheimnisse nur durch Schmeichelei oder durch List preisgeben. Lasst es mich mit ihm versuchen. Er mag mich nicht, doch vielleicht kann ich ihn davon überzeugen, dass ich auf seiner Seite bin.«
Walsingham nickt und legt mir eine Hand auf die Schulter.
»Gut, Bruno. Aber findet ihn schnell. Burghley wird Dee heute Abend holen lassen, damit der Kronrat ihn befragen kann, und wenn die Einzelheiten dieses Mordes erst einmal bekannt sind, sieht es nicht gut für ihn aus.«
Wir setzen unseren Weg fort, bis uns die Musik erneut entgegenweht; nach dem Bild, das sich uns soeben geboten hatte, erscheinen mir die klaren Stimmen noch ätherischer als zuvor. Als wir um eine Ecke biegen, eilt uns ein junger Mann in der Livree der Palastgarde entgegen, stößt im Vorbeihasten gegen uns und murmelt, ohne sich umzudrehen, eine Entschuldigung. Ich habe Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, schimpfe aber nicht, denn der Zwischenfall bringt mir eine Erinnerung zurück.
»Philip Howard«, flüstere ich, bevor ich wie angewurzelt stehen bleibe.
»Wie bitte?« Walsingham dreht sich zu mir um, seine Augen werden schmal.
»Philip Howard war an dem Tag, an dem ich mich mit Abigail getroffen habe, am Holbeintor.« Ich senke meine Stimme, bis sie kaum noch zu vernehmen ist. »Er und sein Freund haben sich an uns vorbeigedrängt, sie hätten uns leicht schon vorher beobachtet haben können. Außerdem passt die Beschreibung von Cecily Ashes Liebhaber auf ihn – er sieht gut aus und trägt einen Titel, gehört also zu der Art Mann, mit dem ein junges Mädchen vor seinen Freundinnen ein wenig prahlen würde. Und durch seinen Onkel und die Botschaft besteht auch eine Verbindung zu Maria Stuart.«
Walsingham presst die Lippen zusammen.
»Der Earl of Arundel zählt ebenfalls zu denen, die wir ohne unwiderlegbare Beweise nicht beschuldigen können. Aber ich werde ihn überwachen lassen. Und jetzt, Bruno, müsst Ihr zu Euren Begleitern zurückgehen. Der Botschafter wird sich schon über Eure Abwesenheit wundern. Ich vertraue darauf, dass Euch eine glaubwürdige Erklärung einfällt.« Er klopft mir auf die Schulter und schiebt mich schließlich auf eine Seitentür im hinteren Teil der Halle zu, die jetzt von zwei bewaffneten Wachposten flankiert wird.
So unauffällig wie möglich husche ich in den Raum. Die meisten Zuschauer halten den Blick höflich auf den Chor gerichtet, nur ein paar Köpfe drehen sich zu mir um, als sich die Tür hinter mir schließt, schenken mir aber weiter keine Beachtung. Ich befinde mich jetzt auf der anderen Seite der Halle als vor meinem Aufbruch und stelle fest, dass der Stuhl rechts von der Königin, auf dem eine ihrer Hofdamen gesessen hatte, gegenwärtig von Leicester besetzt ist, der sich mit besorgter Miene zu ihr beugt. Elisabeths Gesichtsausdruck ist unter der dicken Schicht von Schminke und Rouge nicht zu erkennen, aber sie wendet den Blick nicht von den Sängern ab; indem sie ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, will sie den anderen Anwesenden anscheinend mit gutem Beispiel vorangehen. Zwischen den Köpfen vor mir kann ich Master Byrds wild fuchtelnde Arme erkennen. Erst jetzt, da ich meine eigenen Arme vor der Brust verschränke, zu Boden blicke und tief durchatme, merke ich, wie stark ich zittere.
»Doktor Bruno. Ihr seht aus, als hättet Ihr ein Gespenst gesehen.«
Die Stimme und die knappe Sprechweise sind unverkennbar, ich drehe mich um und sehe Henry Howard etwas abseits seiner Begleiter stehen und mich voller Interesse betrachten. Ich fahre mir mit der Hand
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