Frevel: Roman (German Edition)
sein, als wir alle der Musik lauschten – ist das nicht schrecklich?« Sie erschauert theatralisch. »Es ist merkwürdig, wisst Ihr, denn ich habe eine gewisse Hektik bemerkt – ein paar Berater der Königin kamen und gingen wieder, und ich wunderte mich, warum sie wohl das Konzert gestört haben. Dann kam der Earl of Leicester herein, er wirkte ziemlich außer sich und sprach lange auf die Königin ein – da haben sie den Leichnam vermutlich entdeckt, oder? Es muss genau zu der Zeit gewesen sein, als Ihr über Euer Gedächtnissystem befragt wurdet. Habt Ihr nichts bemerkt?«
Da ich meine, einen spöttischen Unterton aus ihrer Stimme herauszuhören, mustere ich sie scharf, doch sie gibt meinen Blick gleichmütig zurück und faltet sittsam die Hände vor sich.
»Mir ist aufgefallen, dass die Palastwachen hin und her gehastet sind, aber sonst nichts. Ich wurde in ein kleines Privatgemach geführt und über meine Arbeit ausgefragt. Was auch immer sonst noch vorgefallen ist, muss sich in einem anderen Teil des Palastes abgespielt haben.« Ich zucke die Achseln, als interessierte mich das alles wenig.
»Wer hat Euch denn befragt?« Ihre Stimme klingt beiläufig, ihre Augen jedoch fixieren mich so scharf, dass es aussehen würde, als hätte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Blick abwendete.
»Lord Burghley.«
»Ah.« Sie nickt lächelnd, anschließend setzt sie sich neben mich auf die Bank und drapiert ihre Röcke um sich, bis das Ergebnis sie zufriedenstellt. Dann streicht sie mir mit dem Zeigefinger über das Handgelenk. »Ihr würdet mich doch nicht anlügen, Bruno?«
Ihre Berührung jagt mir einen Schauer über den Rücken. »Warum sollte ich das tun?«
»Ich weiß nicht … womöglich versteckt Ihr eine heimliche Freundin vor uns?« Ein schelmisches Lächeln spielt um ihre Lippen.
»Am Hof?« Ich ringe mir gleichfalls ein Lächeln ab. »Leider gibt es keine solche Freundin. Mein Leben ist lange nicht so bewegt, wie Ihr vielleicht meint, Madame. Es spielt sich hauptsächlich in Bibliotheken zwischen verstaubten Manuskripten ab.«
Sie schenkt mir ein weiteres katzenhaftes Lächeln und faltet die Hände im Schoß. Ich stoße langsam den Atem aus. Wenn die Zeichen nicht trügen, ist das Verhör vorerst beendet.
»Nun – dann wollen wir sehen, ob wir etwas Schwung hineinbringen können. Fangt an, Bruno. Ihr seid der Lehrer, und ich bin Eure willige Schülerin. Ihr könnt mich nach Belieben formen.«
Ihr Gesichtsausdruck ist trügerisch sanft, nur das gefährliche Glitzern in ihren Augen verrät eine Bosheit, über die ich lieber nicht nachdenken möchte. Der einzige Weg, die nächste Stunde durchzustehen, besteht für mich darin, mich so naiv wie möglich zu geben, das Gespräch stets oberflächlich zu halten und mich zu einfältig zu stellen, um ihre zweideutigen Bemerkungen zu verstehen.
Ferner ist da noch die Frage, wie weit ich sie in mein Gedächtniskunstsystem einweihen soll. Die Gerüchte, die mich vom Pariser Hof vertrieben haben, entsprechen natürlich der Wahrheit; meine ars memoria ist weit mehr als ein nützliches Werkzeug für Redner oder Leute, die ihre Fähigkeit, sich zu erinnern, verbessern wollen. Es ist eine Kunst, die eine tiefgründige Magie beinhaltet, in jahrelangen Studien verfeinert wurde und an der ich während der ganzen langen Monate als Flüchtling in Italien und später in den Archiven und Bibliotheken in Genf, Toulouse und Paris gearbeitet habe. Nur wenige dürften imstande sein, es vollständig zu verstehen; mein System ist das erste dieser Art, das die klassische Kunst der Erinnerung mit den Lehren des Thomas von Aquin verbindet, die in meinem früheren Orden, dem der Dominikaner, angewandt werden, doch dazu kommt als wichtigster Bestandteil die alte ägyptische Weisheit des Hermes Trismegistos. Ohne dieses Element der Magie wäre meine Arbeit für Henri von Frankreich nicht von Interesse gewesen, einen Mann, der mit einer Begeisterung nach esoterischem Wissen hungert, die beinahe seinen Mangel an Talent aufwiegt. Marie de Castelnau war eine Vertraute von König Henris Frau. Wie viel mag sie bereits wissen? Wieder beschleicht mich das Gefühl, dass ein Damoklesschwert über mir schwebt.
Dennoch müssen wir irgendwo beginnen. Ich reiche ihr einen großen Bogen Papier, auf den ich ein Diagramm gezeichnet habe, und beobachte nicht ohne eine gewisse Befriedigung, wie sie es nimmt, betrachtet und in die eine sowie die andere Richtung dreht, während sie die Augen
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