Frevel: Roman (German Edition)
England!«
»Ich dachte, du stündest der Königin von England ablehnend gegenüber?«, erwidert Castelnau milde.
» Ich dachte, Ihr stündet Doktor Bruno ablehnend gegenüber«, fügt Courcelles spitz hinzu.
Ich gebe seinen herausfordernden Blick gleichmütig zurück, aber seine Worte enthalten eine nützliche Warnung. Ich kenne Marie de Castelnau nicht, ich kenne weder ihre Absichten bezüglich meiner Person noch den Grund für ihr Interesse an meiner Arbeit – ich weiß nur, dass sie sich mit Leib und Seele dem Kampf von Maria Stuart und dem Herzog von Guise verschrieben hat und ich nicht zulassen darf, dass es ihr auch nur ein einziges Mal gelingt, mich zu überrumpeln. Flüchtig hoffe ich, dass der Botschafter ihr ihren Wunsch aus Gründen der Schicklichkeit abschlägt.
Castelnau scheint einen Moment darüber nachzudenken, dann schenkt er mir und seiner Frau ein väterliches Lächeln. »Wenn du gerne etwas über diese Techniken lernen möchtest, meine Liebe, dann wird sich Bruno sicherlich nicht weigern, dir Unterricht zu erteilen. Wir könnten weiß Gott alle ein besseres Gedächtnis brauchen.«
Das scheint das letzte Wort in dieser Angelegenheit zu sein. Marie drückt leicht mein Handgelenk, ehe sie in die Kissen zurücksinkt. Laternenlicht fällt über ihren zu einem zufriedenen Lächeln verzogenen Mund, während die Ruder in ihrem gleichmäßigen Rhythmus durch das Wasser pflügen. Courcelles hört nicht auf, mich mit seinen Fuchsaugen zu beobachten; er wartet ganz offensichtlich darauf, dass ich mich doch noch irgendwie verrate. Ich hingegen sehe dabei zu, wie das Wasser in silbrigen Rinnsalen über die Ruderblätter strömt und beschwöre erneut das marmorkalte Gesicht von Abigail Morley vor meinem geistigen Auge herauf, die heute Abend zum Teil auch meinetwegen sterben musste.
9
Salisbury Court, London
1. Oktober im Jahr des Herrn 1583
Als hätte er auf ein Stichwort gewartet, hält der Oktober mit einem bitterkalten Ostwind Einzug. Über den kornblumenblauen Himmel über der Stadt ziehen jetzt dunkle, drohende Wolken hinweg, und die herabgefallenen Blätter wirbeln über die Straßen und gegen die Fensterscheiben. In dem kleinen Salon, in dem Marie ihre erste Unterrichtsstunde zu nehmen wünscht, brennt ein helles Feuer. Mir ist keine andere Wahl geblieben, als mich zu fügen, obwohl ich es kaum erwarten kann, mich auf den Weg nach Mortlake zu machen, um die Verfolgung von Ned Kelley aufzunehmen. Letzte Nacht habe ich schlecht geschlafen, das Bild von Abigails durchweichtem und entstelltem Leichnam hat mich in meinen Träumen und wachen Momenten gepeinigt und meinem Gewissen keine Ruhe gelassen. Ich hätte sie besser schützen müssen – wäre ihr nichts geschehen, wenn ich früher zu Walsingham gegangen wäre, statt zu beschließen, das Rätsel alleine zu lösen? Solche Fragen führen zu nichts, trotzdem haben sie mich die ganze Nacht lang gemartert wie der Teufel auf Holzschnitten von der Hölle, der die Seelen der Sünder mit Mistgabeln martert.
Marie steht mit hochgestecktem Haar am Fenster und ist sich zweifellos des Umstands bewusst, dass sich ihre Figur vorteilhaft von dem grauen Gegenlicht abhebt. Als ich die Tür hinter mir schließe, eilt sie mit glänzenden Augen auf mich zu und packt mich am Ärmel.
»Habt Ihr schon gehört, dass letzte Nacht im Palast ein weiteres Mädchen getötet wurde, Bruno?« In ihrer Stimme schwingt Sensationsgier mit.
»Das … das ist ja furchtbar. Woher wisst Ihr das?« Ich muss mein gesamtes Geschick aufbieten, um angemessenes Entsetzen vorzutäuschen.
Sie zuckt die Achseln. »Von einem Diener. Er ging heute Morgen auf den Markt, und offenbar spricht man in ganz London von nichts anderem. Eine weitere Hofdame der Königin, heißt es, genauso getötet wie die erste. In ihre Haut waren astrologische Symbole eingeritzt.«
Behutsam entferne ich ihre Hand von meinem Arm, nehme vor dem Kamin Platz und strecke die Hände zu den prasselnden Flammen aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Marie früh aufsteht, um mit den Dienstboten zu schwatzen, aber unmöglich ist es nicht. Wenn sie die Wahrheit sagt, heißt das, dass sich die Neuigkeit Walsinghams und Burghleys Bemühungen zum Trotz überraschend schnell verbreitet hat. Wenn.
»Ich dachte, sie hätten den Mörder festgenommen?«
»Ich weiß.« Ihre Augen weiten sich vor Aufregung. »Allem Anschein nach haben sie den falschen Mann verhaftet, oder es gibt noch einen weiteren Täter. Und es muss geschehen
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