Frevelopfer
Bereich des Stadtzentrums, der einen Radius von drei Kilometern hatte. Falls Runólfur vorgehabt hatte, diesen Bereich unbemerkt zu verlassen, hätte er das Handy gar nicht erst mitgenommen. Es stellte sich heraus, dass er den Innenstadtbereich nicht verlassen hatte.
Die Haarprobe der jungen Frau vom Nýbýlavegur wurde zur dna -Untersuchung ins Ausland geschickt, zusammen mit anderen Proben aus Runólfurs Wohnung und seinem Auto. Es würde also eine Weile dauern, bis mit Sicherheit feststand, ob Unnur sein Opfer gewesen war. Sie stand nicht unter Verdacht, da ihr Alibi als stichhaltig angesehen wurde. Auch das T-Shirt, das er angehabt hatte, und das Tuch, das bei ihm gefunden worden war, wurden auf dna -Spuren untersucht, um zu klären, ob sie ein und derselben Person gehörten.
Auf Runólfurs Computer hatte man nichts gefunden, was der Polizei Aufschlüsse über einen Gast in der Mordnacht geben konnte. Über Aktivitäten im Internet gab es nur wenig Informationen, anscheinend hatte er aber Ausschau nach einem Gebrauchtwagen gehalten. Am Mordtag selbst hatte er die Webseiten verschiedener Gebrauchtwagenhändler aufgerufen, ebenso die Sportmeldungen von isländischen und ausländischen Zeitungen, und einige Seiten, die in Verbindung mit seiner Arbeit standen. E-Mail-Kontakte hatte er nur im Zusammenhang mit seiner Arbeit gehabt.
»Er hat im Gegensatz zu den meisten anderen sein Mail-Konto nicht für private Zwecke verwendet«, sagte der edv -Experte von der Spurensicherung, der sich mit Runólfurs Rechner befasst hatte. »Es kommt mir fast so vor, als hätte er das ganz bewusst gemacht.«
»Was meinst du damit, ganz bewusst?«
»Er hat keine Spuren hinterlassen«, sagte der Computerspezialist.
Dessen Büro im Hauptdezernat der Polizei an der Hverfisgata war so winzig, dass Elínborg gar keinen Platz in dem Zimmer hatte und an der Tür stand. Der Techniker war sehr groß und korpulent und wirkte geradezu eingeklemmt in seinem Zimmer.
»Ist das so ungewöhnlich? Manche Menschen nehmen kein Blatt vor den Mund, andere sind vorsichtiger, denn schließlich weiß man ja nicht, wer die Post sonst noch liest, oder?«
»Alles lässt sich klauen«, sagte der Techniker. »Dafür gibt es viele Beispiele. Dann steht auf einmal etwas auf den Titelseiten der Zeitungen. Ich persönlich würde nie etwas Wichtiges per E-Mail versenden. Aber in diesem Fall kommt es mir so vor, als sei der Mann mehr als nur vorsichtig gewesen. Es sieht schon fast nach einer Phobie aus. Anscheinend hat er alles in seiner Macht Stehende getan, um nichts Persönliches im Computer zu hinterlassen. Die Links stehen ausschließlich in Zusammenhang mit seiner Arbeit, keine Chats, keine Dateien. Und auch keine Notizen oder Eintragungen im Kalender. Wir wissen, dass er Interesse an Spielfilmen und an Fußball hatte. Etwas anderes sagt sein Computer nicht.«
»Es gibt da also nichts über irgendwelche Freundinnen?«
»Nichts.«
»Weil er das so wollte?«
»Ja.«
»Weil er etwas zu verbergen hatte?«
»Das könnte ein Grund sein«, sagte der edv -Techniker und streckte die Hand nach seinem Rechner aus. »Er scheint gewohnheitsmäßig immer alles, was er sich tagsüber angesehen hatte, gelöscht zu haben, bevor er den Computer abends herunterfuhr.«
»Das ist vielleicht gar nicht so überraschend, wenn man an das Rohypnol denkt, das er bei sich hatte.«
»Nein, vielleicht nicht.«
»Niemand weiß also, was er da im Internet gemacht hat?«
»Ich versuche, noch etwas mehr herauszubekommen. Die Sachen werden nicht gelöscht, auch wenn man einen Link entfernt. Möglicherweise könnte auch sein Provider etwas herausfinden, allerdings ist der wohl nicht in Island ansässig, sodass es lange dauern kann, an die Informationen heranzukommen«, sagte der Computerexperte und lehnte sich auf seinem heftig knarrenden Stuhl zurück.
Die Autopsie ergab, dass Runólfur ein kerngesunder Mensch gewesen war. Er war eher klein und schlank, aber gut proportioniert. Nirgendwo am Körper gab es Narben oder Verunstaltungen, und seine Organe hatten einwandfrei gearbeitet.
»Wie gesagt, der junge Mann war völlig gesund«, sagte der obduzierende Arzt, als er seine Aufzählung beendet hatte.
Er und Elínborg standen neben dem Tisch mit Runólfurs sterblichen Überresten im Leichenhaus am Barónsstígur. Die Obduktion war abgeschlossen, und der Arzt hatte die Leiche aus der Kühlung herausgerollt. Elínborg starrte auf sie hinunter.
»Es war aber kein gewaltloser Tod«,
Weitere Kostenlose Bücher