Frevelopfer
fuhr der Arzt fort. »Neben der tiefen Wunde an der Kehle befinden sich mehrere kleine Schnitte, die ihm vor seinem Tod zugefügt wurden. Er hat außerdem eine Quetschung oben an der Brust, als hätte ihn jemand fest im Griff gehabt. Anscheinend hat er sich kaum wehren können.«
»Das ist wohl auch schwierig, wenn jemand einem ein scharfes Messer an die Kehle hält.«
»Eigentlich gibt es überhaupt nicht Ungewöhnliches zu berichten«, sagte der Arzt, »höchstens, dass sehr entschlossen vorgegangen wurde. Dem Mann wurde die Kehle mit einem extrem scharfen Messer durchtrennt, man könnte fast an ein Chirurgenmesser denken. Die Wunde ist nicht schartig, und es gibt keinerlei Anzeichen, die auf ein Zögern hindeuten. Es erinnert an einen sorgfältig ausgeführten Unterleibsschnitt. Ich würde darauf tippen, dass der Angreifer ihn eine ganze Weile fest im Griff gehabt hat, darauf weisen die Einritzungen hin, und dann hat er ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn auf den Boden fallen lassen. Der Schnitt hat ihn nicht sofort getötet, er lebte noch, aber nicht mehr sehr lange, vielleicht noch eine Minute. Ihr habt keine Anzeichen eines Kampfes gefunden, nicht wahr?«
»Nein.«
»Wie du wahrscheinlich weißt, hatte er kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr. Die Frage, ob das gegen den Willen der Partnerin geschehen ist, kann ich nicht beantworten. Soweit ich sehen kann, deutet nichts darauf hin. Außer sein Tod natürlich.«
»Es gibt keine Anzeichen dafür an seinem Körper, Kratz- oder Bisswunden?«
»Nein. Aber mit so etwas ist natürlich auch nicht zu rechnen, wenn er eine Vergewaltigungsdroge verwendet hat.«
Alle, die mit der Ermittlung befasst waren, hatten ausgiebig über die Umstände diskutiert, unter denen Runólfur in seiner Wohnung aufgefunden worden war, und darüber, was daraus zu schließen war. Das T-Shirt, in dem er gesteckt hatte, war viel zu klein für ihn gewesen, es hatte vermutlich einer Frau gehört. Bis auf den Schal hatte man keine weibliche Kleidung in der Wohnung gefunden. Es wurde darüber spekuliert, ob das T-Shirt der Frau gehört hatte, die an dem bewussten Abend mit ihm nach Hause gegangen war. Wenn es sich tatsächlich um eine Vergewaltigung gehandelt hatte, musste Runólfur die Frau entkleidet und sich an ihr vergangen haben. Er hatte sich in ihr T-Shirt gezwängt, wahrscheinlich, um sie noch mehr zu erniedrigen. Er hatte außerdem für ein geradezu romantisches Ambiente gesorgt. Außer im Wohnzimmer hatte nirgendwo Licht gebrannt, und sowohl dort als auch im Schlafzimmer hatte man abgebrannte Teelichter gefunden.
Andere hielten es nicht für sicher, dass es sich um eine Vergewaltigung gehandelt hatte, sie wollten nicht zu viel aus den vorliegenden Anhaltspunkten schließen. Auch wenn Runólfur Rohypnol bei sich gehabt hatte, sagte das nichts darüber aus, was in seiner Wohnung passiert war. In den Gläsern hatten sich keine Reste des Mittels gefunden. Er hatte Geschlechtsverkehr mit der Frau gehabt, sich beim Liebesspiel ihr T-Shirt angezogen, aber dann hatte die Frau aus irgendwelchen Gründen zum Messer gegriffen und ihm die Kehle durchgeschnitten. Andere vertraten die Theorie – und zu ihnen gehörte Sigurður Óli –, dass ein unbekannter Dritter den Mann und die Frau überrascht hatte und Runólfur sich in seiner Verwirrung hastig das T-Shirt übergestreift hatte, bevor er umgebracht worden war. Vermutlich war die Frau, die sich bei ihm befand, auf ihn losgegangen, aber die Möglichkeit, dass ein außenstehender Dritter das Verbrechen verübt hatte, musste auf jeden Fall in Erwägung gezogen werden. Elínborg tendierte ebenfalls zu dieser Meinung, ohne jedoch besondere Gründe dafür anführen zu können. Die Mordwaffe, ein extrem scharfes Messer, konnte aus Runólfurs Besitz stammen, er besaß ein Set mit vier Küchenmessern, die an einer Magnetleiste an der Wand in der Küche hingen. Vielleicht waren es fünf gewesen, und der Täter hatte das fünfte als Waffe benutzt und es mitgenommen, als er sich aus dem Staub gemacht hatte. Die Anordnung der Messer an der Leiste ließ keinerlei Rückschlüsse zu. Eine intensive Suche nach der Mordwaffe in der Umgebung hatte nichts gebracht.
Und dann waren da noch die Spuren von Rohypnol, die in seinem Mund und in seinem Hals gefunden worden waren. Das hatte er wohl kaum freiwillig geschluckt.
»War viel von dem Stoff in seinem Rachen?«, fragte Elínborg den obduzierenden Arzt.
»Allerdings. Eine ganz erhebliche Menge, die ihm
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