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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Achseln, als hätte sie keine Antwort darauf.
    »So ein verdammtes Schwein«, fauchte Lóa und starrte Elínborg an. »Was geht in solchen Menschen eigentlich vor?«
    »Das sind völlig kaputte Typen«, sagte Elínborg.
    »Ich hätte die Drecksau umgebracht. Und ob ich den Kerl umgebracht hätte!«
    Binna Geirs hieß mit vollem Namen Brynhildur Geirharðsdóttir. Elínborg fand, dass der Name gut zu ihr passte. Sie war groß und stämmig, und mit ihrem wilden Haar, das auf den Rücken hinunterwucherte, wirkte sie wie eine Trollfrau aus einem Märchenbuch. Sie hatte einen Stiernacken und grobe Gesichtszüge und eine rote Nase mit breiten Nasenlöchern. Die Arme waren lang, und ihre Beine erinnerten an Brückenpfeiler. Friðbert wirkte im Vergleich zu ihr wie ein zartgliedriger Elf, er war klein und schmächtig, hatte eine Vollglatze, große, abstehende Ohren und kleine Augen unter buschigen Augenbrauen.
    Was Solla gesagt hatte, stimmte. Friðbert, der wegen seiner geringen Größe auch manchmal Berti Fips genannt wurde, war zu Binna gezogen. Die beiden wohnten in einem kleinen, heruntergekommenen Holzhaus an der Njálsgata, das Binna von ihren Eltern geerbt hatte. Irgendwie war es ihr gelungen, es trotz all der Irrungen und Wirrungen in ihrem Leben zu behalten. Das Haus war mit Wellblech verkleidet, das in Frieden vor sich hin rosten durfte, Dach und Fenster leckten. Binna verstand sich auf vieles andere besser als darauf, ihren Besitz instand zu halten.
    Die beiden waren zu Hause, als Elínborg zum zweiten Mal in der Njálsgata vorbeifuhr. Beim ersten Mal hatte auf ihr Klopfen hin niemand geantwortet, und auch bei einem Blick durchs Fenster hatte sie kein Lebenszeichen entdecken können. Jetzt wurde die Tür aufgerissen, Brynhildur Geirharðsdóttir erschien und war offensichtlich stocksauer über die Störung. Sie trug eine alte isländische Strickjacke und verschlissene Jeans, in der einen Hand hielt sie einen Kochlöffel.
    »Hallo Binna«, sagte Elínborg, war sich aber nicht sicher, ob Brynhildur in einem Zustand war, in dem sie Elínborg wiedererkennen würde. »Ich suche nach Berti.«
    »Berti?«, fragte Brynhildur scharf. »Was willst du von ihm?«
    »Ich möchte mich kurz mit ihm unterhalten. Ist er zu Hause?«
    »Er schläft da drinnen«, sagte Brynhildur und wies mit dem Kochlöffel in das dunkle Haus. »Hat er was ausgefressen?«
    Elínborg merkte, dass Brynhildur sie erkannte. Genau wie im Fall von Solla waren sie einander hin und wieder begegnet, wenn Binna Scherereien mit der Polizei gehabt hatte. Groß und stark wie sie war, konnte sie leicht in Schlägereien landen. Sie war cholerisch veranlagt und hatte schlechte Trinkgewohnheiten, was ihrem schwierigen Temperament alles andere als zuträglich war. Brynhildur war mehr als einmal auf Polizisten losgegangen, wenn sie in ihrer schlimmsten Verfassung war, und hatte dann in Handschellen zum Hauptdezernat gebracht werden müssen, um ihren Rausch in einer der Arrestzellen auszuschlafen. Sie hatte im Lauf der Zeit etliche Männerbekanntschaften gehabt, und mit einem von ihnen hatte sie auch vor vielen Jahren einen Sohn bekommen. Binna Geirs war Elínborg nicht ganz geheuer, eigentlich hatte sie Sigurður Óli dabeihaben wollen, aber sie hatte ihn nicht erreichen können.
    »Nicht, dass ich wüsste«, sagte Elínborg. »Darf ich vielleicht hereinkommen und ein paar Worte mit ihm reden?«
    Brynhildur starrte abschätzig auf Elínborg herunter, bevor sie die Tür weit öffnete und Elínborg einließ. Ein altbekannter Geruch stieg Elínborg in die Nase. Brynhildur kochte Dörrfisch. Es war später Nachmittag, und es hatte bereits angefangen zu dämmern. Drinnen im Haus war nirgends Licht, und die einzige Helligkeit kam draußen von der Straße. Außerdem war es kalt im Haus, so als sei die Warmwasserversorgung abgedreht worden. Berti lag schlafend auf dem Sofa. Brynhildur versetzte ihm einen Klaps mit dem Kochlöffel und befahl ihm aufzuwachen. Als Berti nicht darauf reagierte, packte Brynhildur ihn bei den Beinen und zerrte so an ihm, dass Berti zu Boden ging.
    Dabei wachte er prompt auf. Er rappelte sich wieder auf und setzte sich aufs Sofa.
    »Was ist los?«, fragte er verwirrt und schlaftrunken.
    »Hier ist jemand für dich, und bald gibt’s was zu fressen«, sagte Brynhildur und verschwand in der Küche.
    Als Elínborgs Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie feuchte Flecke an alten Tapeten, uraltes und verschlissenes Mobiliar und dreckige

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