Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
sich noch nie so einsam gefühlt, aber sie wollte so wenig wie möglich über Bergsteinn und die Scheidung sprechen. Sie war entschlossen, das Ganze zu schlucken und wegzustecken. Innerlich brodelten Enttäuschung, Wut und Ohnmacht ihn ihr, aber sie versuchte, diese Gefühle nach besten Kräften zu unterdrücken.
    Von Teddi war ihre Mutter dagegen sehr angetan gewesen. Sie wurde es nie müde, sich darüber auszulassen, wie zuverlässig er war.
    »Theodór, ja, der ist zuverlässig«, lautete ihr Standardsatz.
    Und das war er auch. Elínborg hatte Teddi in sehr ausgelassener und lustiger Stimmung auf dem Betriebsfest der Polizei kennengelernt. Er war zusammen mit seinem Freund gekommen, der aber nicht lange bei der Polizei geblieben war. Elínborg hatte zwar nicht das geringste Interesse an einer neuen Verbindung, doch Teddi, der genau wie Elínborg achtundzwanzig war, gab sich alle Mühe und legte seine Schlingen aus. Er brachte sie nach dem Fest nach Hause, rief sie zwei Tage später an, ging mit ihr ins Kino und lud sie zum Essen ein. Sie erzählte ihm von ihrer gescheiterten Ehe. Er hatte nie mit einer Frau zusammengelebt. Von Teddis Freund erfuhr sie, dass er eine Schwester hatte, die seit längerer Zeit schwer an Krebs erkrankt war. Als sie Teddi das nächste Mal traf, fragte sie ihn vorsichtig nach seiner Schwester, und er sagte ihr, dass sie alleinerziehende Mutter war und einen Sohn hatte, der sehr an ihm hing. Ihr jahrelanger Kampf gegen die Krankheit schien nunmehr aussichtslos geworden zu sein. Er hatte Elínborg von ihr erzählen wollen, aber gezögert, weil er nicht wusste, ob etwas aus ihrer Verbindung werden würde. Es zeigte sich, dass Teddis Schwester die Entwicklung seiner neuen Beziehung genau mitverfolgte und Elínborg unbedingt kennenlernen wollte. Eines schönen Tages nahm Teddi sie zu einem Besuch mit, und die beiden Frauen unterhielten sich lange miteinander, während der Onkel eine Spritztour mit dem Neffen machte und ihm ein Eis kaufte. Teddi legte seiner Schwester gegenüber eine rührende und zärtliche Fürsorglichkeit an den Tag. Elínborg entdeckte jeden Tag neue Seiten an seinem Charakter.
    Ein halbes Jahr später zog sie zu Teddi, der in einem kleinen Apartment im Háaleiti-Viertel wohnte. Außerdem besaß er zusammen mit einem Freund eine Autowerkstatt. Ein Jahr später, als Teddis Schwester starb, bekamen sie einen Pflegesohn. Der Vater des Jungen kannte die Mutter kaum, die beiden hatten nie zusammengelebt, und um den Sohn hatte er sich nicht gekümmert. Der Junge hieß Birkir und war sechs Jahre alt. Teddi und Elínborg hatten seiner Mutter versprochen, ihn zu sich zu nehmen. Sie kauften eine größere Wohnung und adoptierten das Kind, das stark unter dem Tod seiner Mutter litt. Elínborg nahm ihn vorbehaltlos auf. Sie versuchte nach besten Kräften, seine Seelenqualen zu lindern, nahm sich unbezahlten Urlaub und gab sich alle Mühe, damit er sich gut in der neuen Schule einleben konnte. Auch Elínborgs Eltern behandelten den Jungen von Anfang an wie ihr eigenes Enkelkind.
    Elínborg wollte nicht wieder heiraten. Teddi und sie lebten zusammen, ohne sich offiziell zu binden. Valþór kam zur Welt und Aron und schließlich Theodóra. Alle Kinder sahen zu Birkir auf, vor allem Valþór, der sich ihn von Anfang an zum Vorbild nahm. Als Birkir von zu Hause auszog, gab Valþór seiner Mutter die Schuld daran, und das belastete ihr ohnehin gespanntes Verhältnis zusätzlich.
    Elínborg sah wieder auf den Wecker. 03:08.
    Sie würde höchstens noch vier Stunden Schlaf bekommen und wusste bereits jetzt, dass der morgige Tag deswegen kein schöner werden würde. Teddi schlief friedlich an ihrer Seite, und sie beneidete ihn um seine Ausgeglichenheit, die zu seinen Wesensmerkmalen gehörte. Sie überlegte, ob sie in die Küche gehen und sich mit Rezepten beschäftigen sollte, verspürte aber keine Lust dazu und fing ein weiteres Mal an, von 10000 rückwärtszuzählen.
    9999, 9998, 9997, 9996 …
    Das Fitnessstudio mit dem Namen »Die Firma« ähnelte demjenigen, das Elínborg zuvor besucht hatte, es war nur erheblich größer und hatte eine sehr viel bessere Lage. Todmüde schleppte sie sich am Samstagmorgen dorthin, eine Woche nach dem Mord an Runólfur. Die Menschen strömten nur so herbei, um sich dort abzustrampeln. Einige hatten ihre Kinder dabei, denn »Die Firma« bot eine Kinderbetreuung an, und der kleine Raum, in dem sie stattfand, war beinahe überfüllt. Elínborg gestattete sich

Weitere Kostenlose Bücher