Frevelopfer
ein wenig Empörung, als sie im Vorbeigehen etliche Kinder sah, die zu einem großen Plasmabildschirm hochstarrten, wo ein Kinderprogramm lief. Sie dachte häufig über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern nach. Die Kinder waren die ganze Woche von morgens früh bis nachmittags um fünf in Kindertagesstätten, und dann wurden sie womöglich noch mal in einer Kinderbetreuung deponiert, während die Eltern sich auf Laufbändern die Hacken abliefen. Die Kinder gingen an normalen Tagen wohl meist um neun Uhr ins Bett und hatten dann gerade einmal zwei Stunden mit ihren Eltern verbracht, in denen es hauptsächlich darum ging, ihnen zu essen zu geben und sie ins Bett zu bringen. Elínborg schüttelte den Kopf. Als ihre Kinder jünger waren, hatten Teddi und sie weniger gearbeitet, um sich mehr mit ihnen beschäftigen zu können, und hatten das nicht als Opfer, sondern als eine schöne Notwendigkeit empfunden.
Elínborg wurde an den Geschäftsführer der Firma verwiesen. Er hatte kurz vorher zwei neue Plasmabildschirme in Empfang genommen, die im Hauptsaal angebracht werden sollten. Irgendetwas war dabei aber schiefgelaufen, denn er telefonierte mit der Lieferfirma. Er weigerte sich, einen der Bildschirme entgegenzunehmen, und wurde ziemlich aggressiv. Nachdem er aufgelegt hatte, starrte er Elínborg an und fragte, was los sei.
»Nichts ist los«, antwortete Elínborg.
»Ach, und was willst du dann?«, entgegnete der Geschäftsführer.
»Ich hätte dich gern nach einem Mann gefragt, der hier bei euch trainiert hat, aber vor ungefähr zwei Jahren aufgehört hat. Ich bin von der Kriminalpolizei. Du hast wahrscheinlich in den Nachrichten von ihm gehört.«
»Nein.«
»Er wohnte im Þingholt-Viertel.«
»Ist das der, den sie umgebracht haben?«, fragte der Geschäftsführer.
Elínborg nickte. »Kannst du dich an ihn erinnern?«
»Ich kann mich gut an ihn erinnern. Damals hatten wir noch nicht so viel Zulauf, man kannte praktisch jeden Kunden. Jetzt ist das hier der reinste Wahnsinn. Was ist mit ihm? Hat das was mit uns zu tun?«
Ein junges Mädchen erschien in der Tür zum Büro.
»Ein Kind hat im Kinderraum alles vollgekotzt«, sagte sie.
»Und?«
»Wir finden die Eltern nicht.«
»Sprich mit Silla«, sagte er zu dem Mädchen. »Sie kriegt das schon raus.«
»Ja, aber ich finde sie nicht.«
»Du siehst, dass ich gerade in einer Besprechung bin«, sagte der Geschäftsführer. »Los jetzt, geh, und such Silla, meine Liebe.«
»Dem Kind geht es dreckig«, sagte das Mädchen sauer. »Darauf hab ich echt keinen Bock«, murmelte sie und verschwand.
»Er hieß Runólfur, nicht wahr?«, fragte der Geschäftsführer, der ein blaues Sport-Outfit mit dem Label eines gefragten und sündhaft teuren Herstellers trug.
»Wie gut kanntest du ihn?«
»Nur als Kunden. Er kam regelmäßig hierher, praktisch seit unserer Eröffnung vor vier Jahren. Er gehörte zu unseren ersten festen Kunden, deswegen kann ich mich vielleicht auch besser an ihn erinnern als an andere. Und dann kam er auf einmal nicht mehr. Er war ein prima Typ und hielt sich gut in Form.«
»Weißt du, warum er auf einmal nicht mehr kam?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn danach nie wieder getroffen. Und dann habe ich das in den Zeitungen gelesen und konnte es kaum glauben. Weshalb fragst du nach ihm? Haben wir etwas damit zu tun?«
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Es handelt sich um eine simple Nachfrage. Wir wissen, dass er hierherkam.«
»Ach so.«
»Haben zu der Zeit, als er aufhörte, auch noch andere aufgehört, die hier trainiert haben?«
Der Geschäftsführer überlegte.
»Ich kann mich nicht so ganz genau erinnern …«
»Vielleicht eine Frau?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
»Erinnerst du dich, ob er gut mit den anderen Kunden auskam?«
»Ja, das tat er, er kam mit allen gut aus. Da war aber …«
»Ja?«
»Du hast nach Frauen gefragt, die aufgehört haben.«
»Ja.«
»Wo du das sagst, es gab tatsächlich eine, die hat bei mir gearbeitet«, erklärte der Geschäftsführer. »Ich weiß nicht mehr genau, ob sie genau zur gleichen Zeit aufgehört hat, aber es war auf jeden Fall etwa um die Zeit. Sie hieß Fríða, aber ich erinnere mich nicht mehr, wessen Tochter sie ist. Ein nettes Mädchen. Sie war Privattrainerin. Wenn du möchtest, kann ich den Namen für dich herausfinden. Die beiden haben irgendetwas miteinander zu tun gehabt.«
»Waren sie zusammen?«
»Nein, so weit ist es meines Wissens nicht gegangen. Aber sie verstanden
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