Frevelopfer
man klopft ihnen auf die Schulter.«
Nína holte tief Atem.
»Ich ertappe mich dabei …«
Sie kämpfte mit den Tränen.
»… dass ich manchmal wünschte, ich könnte mich daran erinnern, wie ich ihm die Kehle durchgeschnitten habe.«
Etwa eine Stunde später wurde Konráð in den Verhörraum geführt. Genau wie Nína war er anfangs sehr ruhig und gelassen. Er saß neben seinem Rechtsanwalt und war übernächtigt, weil er die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte. Seiner Frau war die schwierige Aufgabe zugefallen, ihrem Sohn in San Francisco zu berichten, was über die Familie hereingebrochen war. Konráð machte sich große Sorgen wegen seiner Tochter.
»Wie geht es Nína?«, war das Erste, was er sagte.
»Ihr geht es natürlich nicht gut«, sagte Elínborg. »Wir versuchen, das alles so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen.«
»Ich begreife nicht, wie du darauf kommst, dass ich irgendetwas mit dem Tod dieses Mannes zu tun habe. Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich wünschte, ich hätte den Mann umgebracht und nicht meine Tochter. Ich glaube, an meiner Stelle hättest du das auch gesagt.«
»Es geht nicht um mich«, sagte Elínborg.
»Ich hoffe, du hast meine Worte nicht als Geständnis ausgelegt.«
»Weshalb hast du nicht die Polizei verständigt, als du gesehen hast, was in Runólfurs Wohnung geschehen war?«
»Das war ein Fehler«, sagte Konráð. »Das weiß ich jetzt. Wir hätten ohnehin nie damit leben können, und das war uns im Grunde genommen auch von Anfang an klar. Ich weiß, dass du das nur schwer verstehen kannst, aber versetz dich doch einmal in unsere Lage. Meiner Meinung nach hatte Nína genug durchgemacht, und ich fand, dass alles in Ordnung wäre, solange die Polizei nichts von ihr wüsste. Es gab ja nichts, was die beiden verband. Sie hatten sich in einem Lokal getroffen. Sie hatte niemandem gesagt, wo sie hingegangen war oder mit wem. Ich habe versucht, alle ihre Sachen einzusammeln. Das Tuch habe ich nicht gesehen.«
»Können wir noch einmal darüber sprechen, wie du in Runólfurs Wohnung gekommen bist? Mir ist das immer noch nicht ganz klar.«
»Ich bin einfach hineingegangen. Die Tür war nicht ganz zu. Ich nehme an, dass Nína mir aufgemacht hat, weil sie mich erwartete. Es kann sogar sein, dass wir am Telefon darüber gesprochen haben, wie ich in die Wohnung hineinkommen würde. Ich bin mir da aber nicht ganz sicher.«
»Sie erinnert sich auch nicht.«
»Sie war in einem grauenvollen Zustand. Mir selbst ging es auch nicht viel besser.« Konráð machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Als ich die Wohnung betrat, hat es da irgendwie verbrannt gerochen.«
»Verbrannt?«, fragte Elínborg verwundert.
»Oder vielleicht … Habt ihr Petroleum bei ihm gefunden?«
»Petroleum?«
»Habt ihr kein Petroleum bei ihm gefunden?«
»Nein, nichts dergleichen.«
»Und keinen Geruch? So einen Geruch von Petroleum?«
»Wir haben kein Petroleum bei ihm gefunden«, sagte Elínborg. »Soweit ich weiß, hat auch niemand etwas gerochen.«
»Als ich in die Wohnung kam, roch es aber irgendwie nach Petroleum«, sagte Konráð.
»Uns ist nicht bekannt, dass er etwas verbrannt hat. Es gab Teelichter in der Wohnung, sonst nichts. Was habt ihr mit dem Messer gemacht?«
»Mit dem Messer?«
»Mit dem deine Tochter Runólfur getötet hat?«
»Sie hatte kein Messer in der Hand, als ich kam. Daran habe ich gar keinen Gedanken verschwendet. Wahrscheinlich hat sie es in ihrer Verwirrung irgendwo hingeworfen.«
»Wie rasierst du dich? Mit was? Mit einem Elektrorasierer? Mit einem Rasierhobel? Mit einem Messer?«
»Ich verwende einen Rasierhobel.«
»Besitzt du ein Rasiermesser?«
»Nein.«
»Hast du irgendwann einmal ein Rasiermesser besessen?«
Konráð überlegte.
»Wir haben einen Durchsuchungsbefehl für dein Haus und auch für die Wohnung deiner Tochter auf der Fálkagata«, sagte Elínborg.
»Ich habe nie ein Rasiermesser besessen«, sagte Konráð. »Damit kann ich überhaupt nicht umgehen. Ist das die Waffe gewesen? Ein Rasiermesser?«
»Und noch etwas anderes bereitet uns Kopfzerbrechen«, sagte Elínborg, ohne auf seine Frage einzugehen. »Deine Tochter Nína sagt, sie habe Runólfur attackiert, obwohl sie sich nicht genau daran erinnern kann. Sie sagt das, weil etwas anderes nicht infrage kommt. Soweit sie weiß, waren sie nur zu zweit in der Wohnung. Hältst du es für wahrscheinlich, dass sie es mit einem Mann wie Runólfur aufnehmen konnte? Besonders, wo sie
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