Frevelopfer
Elínborg stand kurz davor, die Beschattung zu beenden. Sie wusste nicht einmal, hinter was sie eigentlich her war, und hielt es nicht für unwahrscheinlich, dass sie einen Unschuldigen verfolgte.
Als sie zu Hause anrief, ging Theodóra an den Apparat. Theodóra hatte zwei Freundinnen aus der Schule mit nach Hause gebracht und keine Zeit, sich länger mit ihrer Mutter zu unterhalten. Teddi war noch nicht von der Arbeit zurück, und das Mädchen hatte keine Ahnung, wo ihre Brüder steckten.
Endlich setzte sich Eðvarð wieder in sein Auto. Elínborg beendete das Gespräch mit Theodóra und folgte ihm. Er war auf dem Weg nach Hause, fuhr die Tryggvagata in westlicher Richtung und dann durch die Mýrargata, verlangsamte die Fahrt bei der Werft und hielt an. Er blickte über die Werft und den Hafen hinüber zur Esja. Sein Standort war ungünstig, Elínborg konnte nicht hinter ihm anhalten. Sie fuhr an ihm vorbei und hielt auf einem Parkplatz in der Nähe, wo sie wartete, bis er den Wagen wieder in Bewegung setzte und nach Hause fuhr.
Elínborg parkte an derselben Stelle wie zuvor und stellte den Motor ab. Eðvarð trug die Einkaufstüten und die Wäsche ins Haus und machte die Tür zu. Es war schon Abend, und Elínborg hatte Gewissensbisse wegen ihrer Familie, die sich in diesen Tagen fast ausschließlich von Fertiggerichten ernähren musste, die Teddi anschleppte. Sie dachte darüber nach, dass sie mehr Zeit zu Hause verbringen sollte, mehr für Theodóra und die Jungen da sein sollte und auch für Teddi, der viel zu oft vor dem Fernseher hockte. Er behauptete zwar, sich nur Dokumentar- und Naturfilme anzusehen, aber das war dummes Zeug. Zu oft hatte sie ihn dabei ertappt, wie er sich die schlimmsten Unterhaltungsprogramme anschaute, amerikanisches Reality- tv , gleichgültig, ob es um Hochzeiten ging, um Modelling oder um Gestrandete. Das waren die neuen Dokumentarfilme von Teddi.
Einer von Eðvarðs Nachbarn kam aus seinem Haus und öffnete die Garage, in der ein altes Auto stand. Er begann, den Wagen liebevoll zu wachsen. Es war ein hellblauer Oldtimer aus den Fünfzigerjahren, den Elínborg nicht kannte, groß und ausladend, mit glänzenden Chromleisten und riesigen Heckflossen, die ihn zu einem imponierenden Schlitten machten, wie Teddi solche Autos nannte. Er liebte diese Straßenkreuzer, vor allem Cadillacs. Seiner Meinung nach waren das die besten Autos, die jemals gebaut worden waren.
Elínborg hatte keine Ahnung, ob das Auto in der Garage ein Cadillac war, aber sie wusste, wie sie ein unverfängliches Gespräch mit dem Mann anfangen konnte. Sie stieg aus und ging zu der Garage hinüber.
»Guten Abend«, sagte sie, als sie vor dem Garagentor angekommen war.
Der Besitzer des Autos blickte von seiner Tätigkeit auf und erwiderte ihren Gruß. Er war etwa fünfzig und hatte ein volles Gesicht und gutmütige Züge.
»Gehört der Wagen dir?«, fragte Elínborg.
»Ja«, entgegnete der Mann, »der gehört mir.«
»Ist das nicht ein Cadillac?«
»Nein, das ist ein Chrysler 300 M, Baujahr ’59. Ich hab ihn mir vor einigen Jahren aus Amerika schicken lassen.«
»Ach, das ist ein Chrysler?«, sagte Elínborg. »Ist er in gutem Zustand?«
»Könnte nicht besser sein«, sagte der Mann. »Man muss ihn bloß ab und zu mal wachsen. Interessierst du dich für Oldtimer? Man trifft nicht oft Frauen, die das tun.«
»Nein, das kann ich nicht sagen. Aber mein Mann hat Interesse an solchen Schlitten. Er ist Automechaniker und hat selbst mal so einen Wagen besessen. Zum Schluss hat er ihn verkauft. Er hätte Spaß daran, diesen hier zu sehen.«
»Schick ihn doch einfach zu mir«, sagte der Mann. »Ich dreh eine Runde durch die Stadt mit ihm.«
»Wohnst du hier schon lange?«, fragte Elínborg.
»Seit meiner Heirat«, sagte der Mann. »Wahrscheinlich bald fünfundzwanzig Jahre. Ich wollte irgendwo in der Nähe des Meeres sein. Wir spazieren hier oft an der Werft entlang und nach Örfirisey.«
»Und jetzt soll das alles weg, damit hier ein neues Wohngebiet entstehen kann. Sind die Anwohner hier damit einverstanden?«
»Ich jedenfalls nicht«, sagte der Mann. »Ich weiß nicht, was die anderen denken. Meiner Meinung nach machen sie hier ein Stück Geschichte platt. Dabei gibt es davon bei uns doch gar nicht so viel. Sieh dir doch die Skúlagata an. Wer erinnert sich noch an die großen Betriebe, die dort waren, Völundur, Kveldúlfur und die Fleischergenossenschaft. Und jetzt muss die Werft dran glauben.«
»Ich
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