Frevelopfer
Rindfleisch, denn sie hatte vor, endlich ihr Versprechen einzulösen. Steaks mochte Valþór am liebsten. Für ihn konnte das Fleisch nicht blutig genug sein, aber mit Ausnahme von Rentierfleisch vielleicht konnte sie sich dafür nicht erwärmen. Sie genoss es, im Supermarkt abzuschalten, und sie versuchte, die Gedanken an das, was in den vergangenen Tagen so schwer auf ihr gelastet hatte, beiseitezuschieben. Ein Glas Distelherzen wanderte in ihren Einkaufswagen, Kaffee aus Kolumbien, isländischer Joghurt.
Zu Hause legte sie sich zunächst einmal in die wohlig warme Badewanne und entspannte sich dabei so gründlich, dass sie einschlief. Sie war sich nicht im Klaren darüber gewesen, wie müde sie nach dem Stress der letzten Tage war. Sie wachte auf, als sie Geräusche im Haus hörte, und wusste, dass eines der Kinder nach Hause gekommen war. Sie versuchte, die Gedanken an die Arbeit beiseitezuschieben, aber das war schwierig. Eðvarð ließ ihr keine Ruhe. Sein kleines, schäbiges Haus im Westend, die alte Klapperkiste, die vor dem Haus stand, und die krüppeligen Äste des Baums, die sich wie eine gespenstische Pranke über das Dach ausstreckten. Je mehr sie an Lilja dachte, desto schäbiger wurden das Haus und Eðvarð, der Lehrer, der dort aus und ein ging, leicht gebeugt, mit wirrem Haar und Bartstoppeln, unsicher und verlegen. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, dass er imstande war, auch nur einer Fliege etwas zuleide zu tun, aber darauf konnte man nichts geben. Das Aussehen ließ keine Schlüsse auf Eðvarðs Wesen zu, abgesehen von der augenfälligen Tatsache, dass er schlampig war.
Sie hatte vor, noch einmal nach Akranes zu fahren und mit mehr Leuten zu sprechen, die Lilja und Eðvarð gekannt hatten. Seine Lehrerkollegen an der weiterführenden Schule konnten ihr möglicherweise doch noch Informationen geben, die sie damals vielleicht nicht für wichtig gehalten hatten. Sie musste auch noch einmal mit Liljas Mutter sprechen, die Zuflucht im Glauben gesucht hatte. Möglicherweise auch mit dem Vater, der die Trauer mit kaltem Schweigen bewältigte. Es würde schwierig werden, mit ihnen zu reden, ohne etwas Konkretes in der Hand zu haben, und Elínborg war sich nicht sicher, wie weit sie gehen durfte. Unter gar keinen Umständen wollte sie irgendwelche Hoffnungen in ihnen wecken. Falsche Hoffnungen halfen niemandem.
Sie musste auch mehr über Runólfur herausfinden. Konráð hatte die Frage gestellt, wer dieser Mann gewesen war, was die Polizei über ihn wusste – und das war letzten Endes bitter wenig. Vielleicht war es sinnvoll, noch einmal aufs Land zu fahren und sein Heimatdorf zu besuchen, um sich eingehender mit den Ortsbewohnern zu unterhalten.
Sie schlüpfte in einen bequemen Hausanzug und ging in die Küche. Theodóra war mit zwei Freundinnen nach Hause gekommen, und die drei waren in ihrem Zimmer. Valþór war ebenfalls in seinem Zimmer. Sie beschloss, ihn in Ruhe zu lassen. Für den Rest des Tages wollte sie Reibereien vermeiden.
Bevor sie sich dem Fleisch zuwandte, griff sie nach zwei Lammfilets, die sie sich und ihrer Experimentierküche spendiert hatte. Sie ging in den Garten hinter dem Haus und warf den Grill an, damit er heiß war, wenn er zum Einsatz kommen würde. Dann holte sie ihren Tandoori-Topf aus dem Schrank und kombinierte die Kräutermarinade mit isländischen Gewürzen. Sie schnitt die Lammfilets in angemessen kleine Stücke, legte sie in die Marinade und ließ sie eine halbe Stunde ziehen. Der Grill war heiß, als sie den Tandoori-Topf mitsamt einigen Grillkartoffeln hinaustrug, die sie zu den Steaks anbieten wollte. Sie rief Teddi an, der erklärte, auf dem Heimweg zu sein.
Jedes Mal, wenn Elínborg die Muße hatte, sich der Kochkunst zu widmen, kam sie zur Ruhe. Sie gestattete es sich, abzuschalten, sich aus Hektik und Betriebsamkeit des Alltags auszuklinken, die Arbeit auszuklammern und bei der Familie zu entspannen. In ihrem Kopf drehte sich dann alles ausschließlich um die unterschiedlichen Zutaten und darum, wie sie mit Intuition und Fantasie aus dem Chaos ein perfektes Ganzes kreieren konnte. In der Küche konnten sich ihre schöpferischen Kräfte austoben, wenn sie die Rohstoffe transformierte und ihnen im Hinblick auf Geschmack, Struktur und Duft einen anderen Charakter verlieh. Die drei Phasen der Kochkunst – Vorbereitung, Zubereitung und schließlich das Essen – waren eine Art Lebensphilosophie für sie.
Alles, was sie unternahm, notierte sie sich
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