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Frevelopfer

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Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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denn Elínborg wollte nicht, dass sie mit so etwas in Berührung kam. Die meisten Kinder in Theodóras Alter wussten ziemlich genau, was ihre Eltern beruflich machten, aber sie wusste nicht viel. Ganz selten einmal war sie mit ihrer Mutter im Hauptdezernat an der Hverfisgata gewesen, wenn niemand anderes auf sie hatte aufpassen können. Dann hatte sie in einem kleinen Büro gesessen, während ihre Mama sich beeilte, dringend anliegende Dinge zu erledigen. Männer und Frauen in Uniformen oder in Zivil hatten vorbeigeschaut und sie sehr nett begrüßt, ihr zugelächelt und gestaunt, wie groß sie schon war, alle außer einem Kerl im Mantel, der sie finster angesehen und ihre Mutter barsch gefragt hatte, was sie sich dabei dächte, ihre Tochter in dieses Haus mitzubringen. Theodóra hatte seine Ausdrucksweise nie vergessen. In dieses Haus. Sie hatte ihre Mama gefragt, wer der Mann war, doch Elínborg hatte nur den Kopf geschüttelt und gesagt, sie solle das vergessen, dem Mann ginge es nicht gut.
    »Was für eine Arbeit ist das eigentlich, Mama?«, hatte sie gefragt.
    »Das ist wie in einem ganz normalen Büro, Schatz«, hatte ihre Mama geantwortet. »Ich bin bald fertig.«
    Theodóra war sich aber sicher, dass es kein normales Büro war. Sie glaubte, einiges darüber zu wissen, womit sich die Kriminalpolizei befasste, und ihre Mutter war bei der Kriminalpolizei, so viel stand fest. Kaum hatte Elínborg das gesagt, als auf dem Korridor wüster Lärm zu hören war. Ein Mann in Handschellen, der von zwei Polizisten abgeführt wurde, hatte die Kontrolle über sich verloren. Er schlug und trat um sich, und es gelang ihm, einem der Polizisten den Kopf ins Gesicht zu stoßen, sodass dieser blutüberströmt zu Boden ging. Elínborg zog Theodóra von der Tür weg und machte sie zu.
    »Diese Verrückten«, murmelte sie vor sich hin und lächelte Theodóra entschuldigend an.
    Theodóra erinnerte sich daran, was Valþór ihr irgendwann einmal gesagt hatte, als Elínborg spät am Abend immer noch bei der Arbeit war. Valþór hatte erklärt, dass sie sich mit den schlimmsten Kriminellen in Island befassen müsste. Das war eines der wenigen Male, wo Theodóra spürte, dass ihr großer Bruder stolz auf seine Mutter war.
    Und jetzt, wo Mutter und Tochter nebeneinander im Bett lagen, drängte sich Theodóra wieder dieselbe Frage auf.
    »Was ist das für eine Arbeit, Mama?«
    Elínborg wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Theodóra hatte sich immer für ihre Arbeit interessiert, sie hatte sich neugierig nach Einzelheiten darüber erkundigt, was sie gerade machte, mit was für Leuten sie es zu tun hatte, mit wem sie zusammenarbeitete. Elínborg hatte immer versucht, ihr nach bestem Gewissen zu antworten, ohne Verbrechen wie Mord, Vergewaltigungen, Gewalt in der Ehe oder brutale Körperverletzungen zu erwähnen. Sie hatte in ihrem Beruf vieles gesehen, worauf sie gerne verzichtet hätte, und diese Dinge wollte sie unter gar keinen Umständen vor dem Kind ausbreiten.
    »Wir helfen den Menschen«, sagte sie schließlich. »Wir kümmern uns um Leute, die unsere Hilfe brauchen. Wir versuchen, dafür zu sorgen, dass sie ein friedliches Leben führen können.«
    Elínborg stand auf und deckte ihre Tochter zu.
    »War ich nicht gut zu Birkir?«, fragte sie.
    »Doch.«
    »Was steckt dann dahinter?«
    »Birkir hat dich nie als seine Mutter angesehen«, sagte Theodóra. »Das hat er zu Valþór gesagt. Du darfst aber nicht verraten, dass ich dir das erzählt habe.«
    »Valþór gibt so einige komische Dinge von sich.«
    »Er meint, dass Birkir einfach genug von seiner Pflegefamilie hatte.«
    »Hätten wir etwas anders machen können?«, fragte Elínborg.
    »Bestimmt nicht.«
    Elínborg gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn.
    »Gute Nacht, mein Liebes.«
    Die Verhöre mit Konráð und Nína gingen am nächsten Tag weiter, aber Elínborg nahm nicht mehr daran teil. Die Fragen drehten sich immer wieder um ihre Unternehmungen in der Nacht, in der Runólfur ermordet worden war. Sie blieben bei ihren Aussagen, und die Angaben stimmten überein. Sie wurden darauf hingewiesen, dass sie reichlich Zeit gehabt hätten, sie aufeinander abzustimmen. Der Mann, der sich bei der Polizei gemeldet und gesagt hatte, dass er in der besagten Nacht im Þingholt-Viertel eine Frau in einem Auto auf dem Beifahrersitz bemerkt hatte, als er nach Hause in die Njarðargata gegangen war, wurde gebeten, Konráðs Ehefrau zu identifizieren. Er war überzeugt, dass es

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