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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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alles in die Luft. Was vermochte selbst der tapferste, mit Granaten behängte Soldat gegen diesen mikroskopisch kleinen, toten Gegner? Nicht mehr als ein Arzt, der Choleraerreger mit einem Hammer zu bekämpfen sucht! Gegen die Wolken der das vorgegebene Ziel selbst aufsuchenden, biotropen, alles Leben zerstörenden Mikrowaffe war der Bürger in Uniform so hilflos, wie es der römische Legionär mit Schild und Schwert im Kugelhagel gewesen wäre.
    Schon im 20. Jahrhundert hatte die Taktik des Kampfes in geschlossener Ordnung einer Lockerung der Formationen weichen müssen, und im Bewegungskrieg kam es zu einer weiteren Auflösung. Damals hatte es allerdings immer noch Frontlinien gegeben, die nun ebenfalls verschwanden. Die Mikroarmeen sickerten mit Leichtigkeit durch die Verteidigungsgürtel und drangen tief ins feindliche Hinterland. Kernwaffen großen Kalibers erwiesen sich mittlerweile immer offenkundiger als machtlos : Ihr Einsatz war einfach unrentabel. Die Bekämpfung einer Virusepidemie mit thermonuklearen Bomben konnte nur minimalste Effekte bringen. Überdies sollen die Kosten eines Geschosses den Wert des von ihm zerstörten Ziels nicht wesentlich übersteigen. Man jagt nicht mit Kreuzern auf Blutegel.
    Als schwierigstes Problem der menschenlosen Etappe des Kampfes des Menschen mit sich selbst erwies sich die Unterscheidung von Freund und Feind. Diese Aufgabe, seit langem mit der Formel FOF (FRIEND or FOE) bezeichnet, war einst von elektronischen Systemen bewältigt worden, die nach der Regel von Anruf und Parole arbeiteten. Ein Flugzeug oder ein anderer Flugkörper gab, über Funkwellen gefragt, über einen Sender selbsttätig die richtige Antwort oder wurde als Feind behandelt und angegriffen. Diese aus dem 20. Jahrhundert stammende Methode war anachronistisch geworden. Die neuen Waffenmeister hatten im Reiche des Lebens Anleihen aufgenommen: bei Pflanzen, Tieren und Bakterien.
    Die Diagnostizierung kopierte die Methoden der lebenden Arten: ihre Immunologie, den Kampf von Antigen und Antikörpern, Tropismen, aber auch Mimikry, Tarnfarben, Deckung und Maskierung. Die toten Mikrowaffen täuschten oftmals harmlose Mikroorganismen oder sogar Kapseln und Blütenstaub von Pflanzen vor und verbargen unter diesen Hüllen ihren todbringenden, erosierenden Inhalt. An Bedeutung gewann auch die informatorische Auseinandersetzung – nicht im Sinne der Propaganda, sondern des Eingreifens in das feindliche Nachrichtenwesen, um es zu lähmen oder – beim Anflug der nuklearen Heuschreckenschwärme – den vorzeitigen Zusammenschluß zur kritischen Masse zu veranlassen und damit das Vordringen zu dem zu schützenden Ziel zu verhindern. Der Verfasser des Buches beschrieb einen Kakerlaken, der der Prototyp bestimmter Mikrosoldaten war und auf dem Abdomen einige dünne Härchen trug. Wurden diese durch eine Luftbewegung gekrümmt, ergriff der Kakerlak die Flucht. Solche Sensoren sind mit dem hinteren Nervenknoten kurzgeschlossen, der einen harmlosen Windhauch von Bewegungen unterscheidet, die von einem Angreifer verursacht werden.
    In die Lektüre vertieft, gedachte ich voller Mitgefühl all der biederen Liebhaber von Uniformen, Flaggen und Tapferkeitsmedaillen. Das neue militärische Zeitalter mußte für sie ein einziger Schimpf, eine Beleidigung ihrer hehren Ideale gewesen sein. Der Autor bezeichnete die Veränderungen als eine »auf den Kopf gestellte Evolution« (Upside Down Evolution), weil in der Natur zuerst die Mikroorganismen entstanden, die sich allmählich in immer größere Gattungen umwandelten, wohingegen in der militärischen Evolution der umgekehrte, der Trend zur Mikrominiaturisierung einsetzte und das große Gehirn des Menschen gleichzeitig durch die Simulate von Nervenknoten der Insekten ersetzt wurde. In der ersten Phase sind die menschenlosen Waffen noch von Menschen projektiert und gebaut worden, in der zweiten Phase wurden die toten Divisionen von ebenso toten Computersystemen konzipiert, kriegsmäßig getestet und in die Massenproduktion übergeführt. Die Menschen wurden erst aus dem Militär, dann auch aus der Rüstungsindustrie entfernt, eine Erscheinung, die als »sozio-integrative Degeneration« bezeichnet wurde. Der Degeneration unterlag der einzelne Soldat: er wurde immer kleiner und dadurch immer einfacher. Zuletzt besaß er soviel Vernunft wie eine Ameise oder eine Termite. Eine um so größere Rolle fiel der sozialen Komplexität dieser Krieger zu. Die tote Armee war viel komplizierter

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