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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Ramon Novarro und übers Fernsehen alle seine Wähler liebt. Millionären hingegen könnte das eher schaden, den Kredit beschneiden oder gar einen Börsenkrach auslösen. Der Millionär muß stets distanziert, ruhig und berechenbar sein. Ist er das nicht, muß er sich mitsamt seiner Unberechenbarkeit gut verstecken. Da es heute jedoch außerordentlich schwer ist, sich vor der Presse zu verstecken, sind die Sanatorien der Millionäre unsichtbare Festungen. Unsichtbar heißt, daß ihre Unzugänglichkeit getarnt ist und nach außen hin nicht auffällt: keinerlei uniformierte Wächter, keine Kettenhunde mit Schaum vorm Maul, kein Stacheldraht. Gerade das nämlich reizt die Journalisten, ja, es macht sie geradezu scharf. Ein solches Sanatorium soll deshalb eher unscheinbar aussehen, vor allem darf es nicht wagen, sich als Domizil für Geisteskranke zu bezeichnen! In meinem Falle handelte es sich um ein Heim für überarbeitete Leute, die herzkrank waren oder an Geschwüren litten. Wie sollte ich auf den ersten Blick erkennen, daß dies nur eine Fassade war, hinter der sich der Wahnsinn verbarg?
    Wir wurden erst eingelassen, als Doktor Hous, ein Vertrauter Tarantogas, uns abholen kam. Er bat mich, im Park spazierenzugehen, bis er mit Tarantoga gesprochen habe. Ich schloß daraus, daß er mich für meschugge hielt. Der Professor hatte ihn offenbar nicht angemessen informieren können, übrigens aus einem ganz vernünftigen Grund: Wir hatten Australien rasch und ohne Aufsehen verlassen wollen.
    Hous ließ mich allein zwischen den Blumenbeeten, Springbrunnen und Hecken zurück, unseres Gepäcks nahmen sich zwei hübsche Mädchen an, die in ihren eleganten Kostümen überhaupt nicht wie Krankenschwestern aussahen. Auch das gab mir zu denken, und den Rest besorgte ein schmerbäuchiger Greis im Pyjama, der bei meinem Anblick in der Hollywoodschaukel beiseite rückte, um mir Platz zu machen. Um seine Höflichkeit nicht zu ignorieren, ließ ich mich neben ihm nieder. Wir schaukelten schweigend eine Weile, bis er schließlich fragte, ob ich für ihn Urin abgeben könne (er drückte es übrigens in deftigeren Worten aus). Ich war so verblüfft, daß ich, statt geradewegs abzulehnen, nach dem Grunde fragte. Das traf ihn sehr, er kroch von der gepolsterten Schaukel und ging, auf dem linken Bein hinkend, davon. Dabei sprach er laut mit sich selbst, wahrscheinlich über mich, aber ich zog es vor, nicht hinzuhören. Ich sah mir den Park an und warf hin und wieder einen Blick auf meinen linken Arm und mein linkes Bein, etwa so, wie man einen Rassehund mustert, den man erst kürzlich zum Geschenk erhalten und der es schon geschafft hat, mehrere Leute zu beißen. Es beruhigte mich durchaus nicht, daß Arm und Bein sich passiv verhielten und mit mir schaukelten, ich dachte an die Erlebnisse der jüngsten Zeit und daran, daß direkt neben meinem Denken, in meinem Kopf, ein anderes Denken lauerte, gewissermaßen auch das meine, aber völlig unzugänglich. Das war durchaus nicht besser als Schizophrenie, denn von dieser kann man geheilt werden, es war auch nicht besser als der Veitstanz, denn da weiß der Kranke, daß er höchstens mal tanzen wird. Ich aber war lebenslang zu Unfug im eigenen Wesen verurteilt.
    Auf den Parkwegen spazierten Patienten, manchen wurde in einiger Entfernung ein leisegängiger Wagen von der Art nachgeführt, wie man sie zum Transport des Golfbestecks benutzt – sicherlich für den Fall, daß der Spaziergänger ermüdete. Ich sprang aus der Schaukel, um nachzusehen, ob Doktor Hous seine Beratung mit Tarantoga beendet hatte. So lernte ich Gramer kennen. Er wurde huckepack von einem betagten Diener getragen, der ganz schweißüberströmt und im Gesicht blau angelaufen war, denn Gramer wog gut zwei Zentner. Mir tat der alte Mann leid, aber ich sagte nichts und trat nur beiseite in der Erkenntnis, daß ich mich in meiner gegenwärtigen Lage lieber nirgends einmischte. Gramer ließ sich jedoch von dem Pfleger rutschen und stellte sich mir vor. Offenbar reizte es ihn, ein neues Gesicht zu sehen. Er brachte mich in Verlegenheit, denn ich hatte vergessen, unter welchem Namen ich in der Sanatoriumskartei auftreten sollte. Obwohl ich mit Tarantoga alles abgesprochen hatte, fiel mir jetzt nur der Vorname ein: Jonathan. Gramer gefiel diese Vertraulichkeit – ein Fremder, und sagt nur seinen Vornamen! – und bat mich, ihn Adelaide zu nennen.
    Er wurde sehr gesprächig. Seit die Depression ihn verlassen habe, langweile er sich

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