Frieden auf Erden
Gleichgewicht, fegte im Vorbeitaumeln sämtliche Gläser vom Tresen und verschwand in der Küche.
Ich stand da und musterte das Schlachtfeld. Unter einem Tisch lag, noch immer qualmend, die Tasche. Der weiße Nebel biß in die Augen, lichtete sich aber schon. Der aufgespannte Regenschirm lag zwischen Glasscherben, zerbrochenen Tellern und Pizzaresten, überzogen von einer kleistrigen Schmiere und mit Wein übergossen. Alles war so schnell gegangen, daß die bastumflochtene Chiantiflasche immer noch über den Boden rollte und erst jetzt an die Wand stieß. Hinter der Trennwand zur benachbarten Nische erhob sich jemand – der Mann, der sich dort Notizen gemacht und Bier getrunken hatte. Ich erkannte ihn sofort: Es war der farblose Zivilist, mit dem ich mich vor zwei Stunden auf dem Stützpunkt in der Wolle gehabt hatte.
»Nun, Herr Tichy«, sagte er und zog melancholisch die Augenbrauen in die Höhe, »war es die Sache wert, so um den Passierschein zu kämpfen?«
»Eine fest zusammengefaltete Serviette ist auf kurze Entfernung wirksam gegen eine kurze Feuerwaffe«, sagte nachdenklich Leon Grün, der Abschirmchef, der im täglichen Umgang Lohengrin genannt wurde. »Die französischen Flics kannten dieses Mittel schon, als sie noch Pelerinen trugen. In die Handtasche hätte weder eine Parabellum noch eine Beretta gepaßt. Freilich, sie hätte auch eine Reisetasche haben können, aber es braucht ein gutes Weilchen, ehe eine größere Knarre ausgepackt ist. Trotzdem habe ich Trufli zu dem Regenschirm geraten, ich muß eine Eingebung gehabt haben. Das war Salpektin, nicht wahr, Doktor?«
Der Gefragte, ein Chemiker, kratzte sich hinterm Ohr. Wir saßen auf dem Stützpunkt, in einem verräucherten Zimmer voller Leute. Mitternacht war längst vorüber.
»Was weiß ich, Salpektin oder ein anderes Salz in Sprayform, mit freien, Radikalen. Ammoniumradikale plus Emulgierungsmittel und Zusätze zur Verminderung der Oberflächenspannung. Alles unter anständigem Druck – mindestens fünfzig Atmosphären. In der Tasche war eine Menge drin, die müssen hervorragende Fachleute haben.«
»Wer?« fragte ich, aber keiner tat, als hätte er etwas gehört. Daher setzte ich nach, laut und nachdrücklich.
»Was sollte das? Was hatte man vor?«
»Sie sollten unschädlich gemacht werden, das Augenlicht verlieren«, sagte Lohengrin mit einem vergnüglichen Grinsen. Er brannte sich eine Zigarette an, drückte sie voller Ekel aber gleich wieder aus. »Gebt mir was zu trinken, ich komme mir vor wie ein überhitzter Brennofen. Sie kosten uns manches Stück Gesundheit, Tichy, es ist kein Kinderspiel, in dreißig Minuten einen solchen Personenschutz auf die Beine zu stellen …«
»Das Augenlicht sollte ich verlieren? Zeitweilig oder für immer?«
»Schwer zu sagen, das Zeug ist scheußlich ätzend. Vielleicht hätten Sie eine Hornhautübertragung nötig gehabt.«
»Und die beiden? Die Kellner?«
»Unser Mann hat es geschafft, die Augen zu schließen. Das war ein guter Reflex. Immerhin war die Tasche ein gewisses Novum.«
»Aber warum hat mir dieser – dieser falsche Kellner das Glas aus der Hand geschlagen?«
»Ich habe nicht mit ihm gesprochen, er ist für Unterhaltungen nicht geeignet. Ich nehme an, weil sie mit Ihnen getauscht hat.«
»War etwas in dem Glas?«
»Mit fünfundneunzigprozentiger Sicherheit. Wozu hätte sie das sonst machen sollen?«
»Im Wein kann nichts gewesen sein«, stellte ich fest. »Sie hat davon getrunken.«
»Im Wein nicht, aber im Glas. Hat sie nicht damit gespielt, ehe der Kellner kam?«
»Ich bin mir nicht sicher … Doch, jawohl, sie hat es in den Fingern gedreht.«
»Na bitte. Das Ergebnis der Analyse haben wir noch abzuwarten. Da alles in winzige Scherben gegangen ist, läßt sich nur mit der Chromatographie etwas machen.«
»Gift?«
»Das möchte ich meinen. Sie sollten aus dem Wege geräumt, unschädlich gemacht, aber nicht unbedingt umgebracht werden. Das ist eher weniger anzunehmen. Versetzen wir uns einmal in die Lage der anderen: Ein Toter bringt keinen Vorteil, nur Lärm, Verdächtigungen, die Presse, die Obduktion, Gerede. Das bringt nichts. Eine solide Psychose ist dagegen etwas ganz anderes, als Resultat viel eleganter. Die notwendigen Präparate gibt es heutzutage in rauhen Mengen. Dämmerzustände, Depressionen, Halluzinationen. Ich nehme an, Sie hätten gleich nach diesem Schlückchen noch gar nichts gemerkt – erst morgen oder noch später. Mit der Länge der Latenzzeit
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