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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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noch, was ich von seinen Worten denken sollte.
    »Das ist doch alles nur Ihre Vermutung«, meinte ich endlich.
    »Genau. Auch der Brief, den Einstein an Roosevelt richtete, beruhte nur auf der Vermutung, daß die Atombombe sich bauen ließ. Einstein hat das bis an sein Ende bereut.«
    »Ich verstehe – Sie möchten eine solche Reue nicht erleben müssen.«
    »Die Atombombe wäre auch ohne Einstein entstanden. Meine Technologie ohne mich ebenfalls. Aber je später, desto besser.«
    »Après nous le deluge?«
    »Nein, damit hat das nichts zu tun. Die Angst vor dem Mond ist mit Absicht entfacht worden, dessen bin ich sicher. Wenn Sie von einer gelungenen Erkundung zurückkommen, tauschen Sie diese Angst gegen eine andere aus, die schlimmer sein kann, weil sie realer ist.«
    »Jetzt fällt bei mir endlich der Groschen. Sie wollen, daß meine Erkundung nicht gelingt?«
    »Ja, aber nur mit Ihrem Einverständnis.«
    »Wieso?«
    Sein Gesicht verlor auf einmal das Eichhörnchenhafte, die durch die Knopfaugen boshaft wirkende Häßlichkeit: er lachte, lautlos, aber mit offenem Munde.
    »Den Grund habe ich Ihnen schon gesagt. Ich bin ein Mann mit altmodischen Prinzipien. Zu diesen gehört das Fairplay. Ich erwarte Ihre Antwort auf der Stelle, denn mir tun schon die Beine weh.«
    »Hätten Sie doch mal ein paar Kissen hergelegt«, sagte ich. »Und was diese – diese Dispersionstechnik betrifft, so bitte ich darum.«
    »Sie glauben nicht, was ich gesagt habe?«
    »Doch. Und eben deswegen will ich es so.«
    »Den Herostrat spielen?«
    »Ich werde mich bemühen, kein Heiligtum in Brand zu stecken. Können wir nun endlich aus diesem Käfig steigen?«

V. LUNAR EFFICIENT MISSIONARY
    Der Start wurde achtmal verschoben, weil beim Countdown Mängel zutage traten. Einmal fiel die Klimaanlage aus, dann meldete ein Reservecomputer einen Kurzschluß, den es nicht gab, nachher gab es einen Kurzschluß, den der Hauptcomputer nicht meldete, und beim zehnten Countdown endlich, als alles schon so aussah, als würde ich starten, verweigerte der LEM Nummer sieben den Gehorsam. Ich war bandagiert wie die Mumie eines Pharaos, in sensorenbehaftetes Selbstklebeband gewickelt, den Helm geschlossen, das Laryngophon an der Gurgel, im Mund den Schlauch eines kleinen Containers mit Tomatensaft, eine Hand am Hebel des Schleudersitzes, die andere am Steuerknüppel. Ich gab mir Mühe, an Liebliches und Fernliegendes zu denken, damit mir das Herz nicht hüpfte, dessen Tätigkeit von acht Kontrolleuren an Monitoren beäugt wurde – nebst Blutdruck, Muskelspannung, Schweißabsonderung, Augapfelbewegungen sowie der elektrischen Leitfähigkeit des Körpers, die verrät, in welcher Angst der kühne Raumfahrer das zeremonielle NULL erwartet, das ihn mit einem Donnerschlag ins All befördert. Statt dessen bekam ich jedesmal einen saftigen Fluch zu hören, den Vivitch, der Hauptkoordinator, losließ, bevor er vielfach das Kommando wiederholte: »STOP! STOP! STOP!« Ich weiß nicht, ob es an meinen Ohren oder an den Mikrophonen lag, jedenfalls dröhnte seine Stimme wie in einem leeren Faß. Ich behielt das freilich schön für mich, denn wenn ich jetzt nicht die Klappe hielt, würden sie die Akustik des Helms untersuchen wollen, dazu müßten die entsprechenden Fachleute hinzugezogen werden, und ich säße auf der Startrampe bis in alle Ewigkeit.
    Die letzte Havarie, vom technischen Personal als LEM-Rebellion bezeichnet, war in der Tat verblüffend und blödsinnig, denn unter dem Einfluß der Kontrollimpulse, die nur die einzelnen Aggregate des LEM checken sollten, kam der ganze Apparat in Bewegung: Statt nach seiner Abschaltung stillzuliegen, fing er an zu rucken und zu rütteln und machte Versuche, aufzustehen. Wie ein Irrsinniger zerrte er an den Festhaltegurten, er hätte diese Fesseln fast gesprengt, obwohl nacheinander alle Versorgungsleitungen gekappt wurden. Keiner wußte, was mit ihm los war, angeblich handelte es sich um einen Stromschwund oder ein Stromleck. Impedanz, Kapazitanz, Resistanz. Wenn die Techniker nicht mehr wissen, was los ist, gedeiht ihr Wortschatz zu einer Fülle, wie sie sonst nur einem Ärztekonsilium eignet, das einen hoffnungslosen Fall berät. Wenn etwas kaputtgehen kann, wird es eines Tages kaputtgehen – das ist eine eiserne Regel, und in einem System, das aus 298 000 Hauptstromkreisen und integrierten Schaltkreisen besteht, ist nicht einmal durch die komplette Doublierung eine hundertprozentige Sicherheit gewährleistet.

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