Frieden auf Erden
so wirksam und treffsicher in mein Gehirn eindringen? Wie sich zeigt, so dachte ich, gibt es Unmöglichkeiten verschiedener Art, größere und kleinere.
Es war eine Sirene von jenen Inseln, an denen Odysseus vorüberkam. Eine tödliche Lockspeise. Warum ich das dachte, weiß ich nicht. Ich stand da, und sie ging ihres Wegs, neigte hin und wieder das von ihrem offenen Haar umwallte Gesicht und tauchte es in die Blumen in ihrer Hand (auf dem Mond, wo niemand etwas riechen kann!). Sie schenkte mir nicht die geringste Beachtung.
Die technischen Einrichtungen dieser Fata Morgana mußten unabhängig von ihrem Aussehen und ihrer Arbeitsweise logisch funktionieren, da sie aus logischen Programmen hervorgegangen waren. Das konnte ein Anhaltspunkt sein. Irgendwo mußte ich mich ja festhalten. Der unsichtbare Spiegel sollte jeden Kundschafter unschädlich machen, der bewaffnet war: Beim Anblick eines Gegners würde er auf ihn anlegen, zuerst nur zur Selbstverteidigung, nicht zum Schuß, denn seine Aufgabe war die Erkundung, nicht der Angriff. Da der andere aber ebenfalls auf ihn zielte, würde er schießen, um sich zu retten, denn wenn er sich widerstandslos erledigen ließ, würde er kein Gran des geplanten Spähunternehmens erfüllen. Ich aber hatte nicht geschossen, ich hatte keine Waffe. Ich hatte die Erde gerufen und Vivitch gemeldet, was ich sah. Meine Worte waren ganz bestimmt abgehört worden.
Wenn ich das jetzt überdenke, erscheint es mir als kapitaler Fehler, als geradezu katastrophales Versehen des ganzen Erkundungsprojekts, daß keiner daran gedacht hatte, den Funkverkehr Tichys mit der Zentrale abhörsicher zu machen. Das ist ja nicht besonders schwer, ein in mein Funkgerät eingebauter Wandler hätte das von mir Gesprochene und Gehörte in Form eines Stroms von chiffrierten Signalen übermittelt. Die computerisierten Waffenschmieden unter dem Mondboden mußten die menschliche Sprache kennen, und selbst wenn sie ihnen zunächst unbekannt war, hatten sie sie leicht lernen können, indem sie Abhöranlagen auf die Erde mit deren Zehntausenden Rundfunksendern richteten. War dies aber der Fall gewesen, so hatten sie ebenso leicht die Fernsehprogramme empfangen können, und eben diesen war wie die Venus aus dem Schaum der Wogen dieses nackte Mädchen entstiegen. Das war logisch, ohne Frage: Ist der Ankömmling kein Roboter, weil er nicht schießt und den eigenen Doppelgänger, was jeder gleich nach der Landung getan hätte, nicht einmal genau untersucht, so ist er ein Mensch. Ist er aber ein Mensch, dann mit hundertprozentiger Gewißheit ein Mann, weil die Menschen auf solch ein Unternehmen nicht zuerst eine Frau schicken würden. Handelt es sich aber um einen Mann, so wird dessen Achillesferse von jedem Fernsehprogramm bloßgelegt: das andere Geschlecht. Was immer mir nun auch zu tun blieb, ich durfte mich keinesfalls der verführerischen Sirene nähern, denn das käme mich teuer, gegebenenfalls zu teuer. Wie teuer, wußte ich nicht, und ich hatte auch keine Lust, durch einen Versuch an die Preisliste zu kommen. Von der Richtigkeit dieses Gedankengangs mußte ihr Aussehen zeugen, das Sirenengesicht, denn die Geschichte mit der anderen, ebenfalls blonden, konnte niemand wissen, sie unterlag strengster Geheimhaltung. Oder sollten die Waffenmeister auf dem Monde Spießgesellen in der Lunar Agency sitzen haben? Das hielt ich vorerst für ausgeschlossen.
Sie ging langsam, das gab mir die Zeit für so intensive Überlegungen, aber nun trennten uns nur noch einige Dutzend Schritte. Sie sah kein einziges Mal zu mir herüber. Ich suchte zu erkennen, ob ihre bloßen Füße im Sand Spuren hinterließen, meine Stiefel hatten ja tiefe Stapfen hinterlassen. Ich sah jedoch nichts. Hätte sie Spuren hinterlassen, so wäre es schlimm gewesen, das heißt noch schlimmer, denn das hätte die Fata Morgana geradezu erschreckend perfekt gemacht.
Als ich ihr Gesicht sah, atmete ich auf. Es war nicht Marilyn Monroe, aber ihre Züge kamen mir bekannt vor. Wahrscheinlich stammten sie aus einem Film, das Gesicht war einer Schauspielerin oder einer anderen Schönheit abgeguckt, denn es war nicht nur jung, sondern auch schön. Sie ging immer langsamer, als sei sie unschlüssig, ob sie stehenbleiben, sich hinsetzen oder sich wie am Strand in die Sonne legen solle. Die Hand mit den Blumen hielt sie nicht mehr vor der Brust, sondern ließ sie herabhängen. Sie sah sich um, und als sie einen großen, leicht geneigten, glatten Stein sah, setzte sie
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