Frieden auf Erden
man nicht meine Verbindung zu dem Sendling? Die Telematiker behaupteten allerdings, das sei nicht möglich, der gesamte Steuerkanal befinde sich im Bereich härtester kosmischer Strahlung, eine unsichtbare Nadel, die vom Raumschiff zum Sendling reichte und, wie sie sich ausdrückten, so »hart« war, daß sie wohl lediglich auf die Anziehungskraft eines Schwarzen Loches reagieren würde. Das Magnetfeld, das diese »Nadel« verbiegen oder zerbrechen könnte, hätte eine Energiezufuhr benötigt, die sich nur in Billionen Joule berechnen läßt. Anders ausgedrückt: In den Raum zwischen Orbiter und Sendling hätten Mega- oder Gigatonnen gepumpt, über dem Mond hätte ein Schirm thermonuklearen Plasmas aufrechterhalten werden müssen wie ein aufgespannter Regenschirm. Das aber war unmöglich – oder man wollte es vorläufig nicht.
Diese Zurückhaltung entsprang vielleicht nicht mangelndem Vermögen, sondern strategischer Überlegung. Im Grunde waren die Kundschafter, ob Automaten oder Menschen, auf dem Mond bisher nicht angegriffen worden. Sie hatten sich selbst vernichtet, indem sie als erste von der Waffe Gebrauch machten und auf ihr Spiegelbild schossen. Es war, als wolle die tote Bevölkerung des Mondes in der Defensive bleiben. Diese Taktik konnte sich eine Zeitlang bezahlt machen. Der desorientierte Gegner ist in strategischer Hinsicht in einer schlechteren Lage als der Gegner, der auf einen Angriff schon gefaßt ist. Die mit solcher Mühe ausgetüftelte Doktrin der Ignoranz als Friedensgarantie hatte sich höhnisch und bedrohlich gegen ihre Erfinder gekehrt.
Vivitch meldete sich wieder. Der dritte Mikropenwurf war heil bei mir angekommen, sie hatten mich wieder auf dem Bildschirm. Ich dachte mir, daß die Zentrale wohl nur während der Fata Morgana mit dem Mädchen im Dunklen gehalten worden war. Übrigens verlor ich mich auch in mancherlei anderen Vermutungen. Allein schon durch das Abhören des Rundfunks mußte der Mond Kenntnis von dem auf der Erde zunehmenden Gefühl der Bedrohung haben. Die von einem bedeutenden Teil der Presse geschürte Panikstimmung hatte sich nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch den Regierungen mitgeteilt. Alle miteinander hatten jedoch eines begriffen: Wenn der Bau thermonuklearer Raketen wiederaufgenommen würde, damit ein Schlag gegen den Mond geführt werden könnte, wäre es zugleich vorbei mit dem Frieden auf der Erde. So stand also entweder ein gegen die Menschheit gerichteter Angriff bevor, oder auf dem Mond lief etwas völlig Unbegreifliches ab.
Vivitch rief mich erneut und verhieß ein wahres Bombardement von Mikropen. Sie sollten in Schwärmen aufeinanderfolgen, Welle auf Welle, nicht nur von meinem Raumschiff, sondern aus allen Himmelsrichtungen, denn man hatte beschlossen, die unterhalb der Zone des Schweigens magazinierten Reserven einzusetzen. Ich hatte nicht gewußt, daß es sowas gab, setzte mich auf den toten Wüstenboden, neigte mich ein wenig rückwärts und sah hinauf in den schwarzen Himmel. Das Raumschiff war nicht zu erkennen, dafür aber die Mikropen, kleine funkelnde Wolken, die von oben und vom Horizont herbeischossen. Ein Teil blieb über mir hängen, schwellend und wogend, glitzernd wie ein Schwarm goldener Mücken, die sorglos in der Sonne spielen. Die anderen, die sich in Reserve hielten, bemerkte ich nur dadurch, daß einer der beständig strahlenden Sterne am Firmament plötzlich ins Blinkern kam, weil er von einer Wolke meiner mikroskopisch kleinen Wächter verdeckt und wieder freigegeben wurde. Nun hatten sie mich auf allen Bildschirmen, von oben, en face und en profil. Ich hätte nun aufstehen und mich auf den Marsch machen sollen, fühlte mich aber plötzlich von Unlust und Apathie überwältigt. Ungefüge und unbeweglich in dem schweren Raumanzug, bildete ich im Gegensatz zu den Mikropen ein phantastisches Ziel, sogar für einen Schützen, der auf beiden Augen den grauen Star hatte. Warum sollte also ausgerechnet ich die Vorhut bilden, der ich nur in so kläglichem Tempo vorankam? Warum sollten nicht die Mikropen meine fliegenden Späher sein?
Die Zentrale erklärte sich einverstanden, die Taktik wurde geändert. Die goldenen Mückenschwärme strömten in breiter Front über mich hinweg, dem Ural des Mondes entgegen.
Langsam schritt ich weiter und hielt nach allen Seiten die Augen offen. Ich befand mich auf einer Ebene mit flachen Bodenwellen, zwischen einer Unmenge kleiner, fast bis an die Ränder mit Schutt gefüllter Krater. In dem
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