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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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immer wieder »Zelda ist tot!« schrie. Rachels Nase hatte geblutet. Ihre ganze Kleidung war blutfleckig. Die Nachbarin hatte den Krankenwagen angerufen und dann ihre Eltern; nachdem sie das Nasenbluten gestillt und Rachel mit einer Tasse heißem Tee und zwei Aspirin beruhigt hatte, fand sie heraus, wo sich Rachels Eltern aufhielten. Sie besuchten Mr. und Mrs. Cabron am anderen Ende der Stadt; Peter Cabron war Buchhalter im Geschäft ihres Vaters.
    Noch am gleichen Abend waren im Haushalt der Goldmans große Veränderungen eingetreten. Zelda war fort. Ihr Zimmer war gesäubert und desinfiziert worden. Alle Möbel waren fort. Das Zimmer war nichts als ein leerer Raum. Später -- viel später -- war es Dory Goldmans Nähzimmer geworden.
    In dieser Nacht hatte Rachel ihren ersten Alptraum, und als sie gegen zwei Uhr aufwachte und nach ihrer Mutter rief, stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, daß sie kaum aus dem Bett herauskam. Der ganze Rücken tat ihr weh. Sie hatte ihn gezerrt, als sie Zelda bewegte. Schließlich hatte sie, als sie Zelda umdrehte, so viel Kraft aufgewendet, daß ihre Bluse zerriß.
    Daß sie sich bei dem Versuch, Zelda vor dem Ersticken zu bewahren, überanstrengt hatte, war klar, eindeutig, ganz-offensichtlich-mein-lieber-Watson. Für jedermann -- nur nicht für Rachel selbst. Rachel war ganz sicher, daß dies Zeldas Rache aus dem Grab war. Zelda wußte, daß Rachel froh war über ihren Tod. Zelda wußte, daß Rachel, als sie aus dem Haus stürzte und jedem, der es hören wollte, mit höchster Lautstärke mitteilte, Zelda ist tot, Zelda ist tot, gelacht und nicht geweint hatte. Zelda wußte, daß sie ermordet worden war, und deshalb hatte sie die spinale Meningitis an Rachel weitergegeben. Bald würde auch Rachels Rücken anfangen, sich zu krümmen und zu verzerren, und dann würde auch sie im Bett liegen und sich langsam, aber sicher in ein Ungeheuer verwandeln, mit Händen wie Vogelkrallen.
    Bald würde auch sie anfangen, vor Schmerzen zu schreien, wie Zelda es getan hatte, und dann würde sie ins Bett nässen, und schließlich würde sie an ihrer eigenen Zunge ersticken. Es war Zeldas Rache.
    Niemand konnte Rachel diese Überzeugung ausreden -- weder ihre Mutter noch ihr Vater, noch Dr. Murray, der eine leichte Rückenzerrung feststellte und Rachel dann brüsk (brutal hätten manche Leute, Louis zum Beispiel, gesagt) erklärte, sie solle mit diesem Unsinn aufhören. Schließlich wäre ihre Schwester gerade gestorben, erklärte Dr. Murray; ihre Eltern wären gramgebeugt, und dies wäre nicht der richtige Augenblick, mit einer kindischen Schau die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Nur das langsame Abklingen der Schmerzen hatte sie davon überzeugen können, daß sie weder das Opfer von Zeldas übernatürlicher Rache noch das von Gottes gerechter Strafe war. Monatelang (das jedenfalls erzählte sie Louis; in Wirklichkeit waren es Jahre gewesen, acht Jahre) wachte sie aus Alpträumen auf, in denen ihre Schwester immer und immer wieder starb, und in der Dunkelheit fuhren Rachels Hände zu ihrem Rücken, um sich zu vergewissern, daß er noch in Ordnung war. Zu den entsetzlichen Nachwirkungen dieser Träume gehörte, daß sie oft erwartete, die Schranktür spränge auf, und Zelda käme heraus gewankt, blau und verkrüppelt, mit verdrehten, weiß glänzenden Augen, die Hände hakenförmige Klauen, um die Mörderin zu ermorden, die im Bett hockte und die Hände ins Kreuz preßte... Sie hatte an Zeldas Beerdigung nicht teilgenommen und auch an keiner anderen danach.
    »Wenn du mir das schon früher erzählt hättest«, sagte Louis, »hätte ich vieles besser verstanden.«
    »Ich konnte es nicht, Lou«, sagte sie leise, Ihre Stimme klang jetzt sehr schläfrig. »Seit damals reagiere ich immer mit einer leichten Phobie auf dieses Thema.«
    Eine leichte Phobie, dachte Louis. So kann man es auch ausdrücken.
    »Irgendwie komme ich nicht dagegen an. Mein Verstand sagt mir, daß du recht hast, daß der Tod etwas völlig Natürliches ist -- sogar etwas Gutes --, aber was mein Verstand mir sagt und was -- in mir vorgeht...«
    »Ja«, sagte er.
    »Neulich, als ich die Beherrschung verlor«, sagte sie, »wußte ich ganz genau, daß es nur die Vorstellung war, die Ellie zum Weinen brachte -- eine Art, sich daran zu gewöhnen --, aber ich konnte einfach nicht anders. Es tut mir leid, Louis.«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte er und strich ihr übers Haar. »Aber ich nehme die Entschuldigung trotzdem

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