Friedhof der Kuscheltiere
sie mich gehaßt hatte, aber ihr Geist würde nicht ans Bett gefesselt sein, und deshalb schrie ich -- ich schrie und rannte aus dem Haus und schrie, ›Zelda ist tot! Zelda ist tot! Zelda ist tot!‹ Und die Nachbarn -- sie kamen heran und sahen mich -- sahen, wie ich mit zerrissener Bluse die Straße entlanglief -- ich kreischte, ›Zelda ist tot!‹, Louis, und wahrscheinlich dachten sie, ich weinte, aber ich glaube, vielleicht habe ich gelacht, Louis. Vielleicht habe ich in Wirklichkeit gelacht.«
»Mein Kompliment, wenn du es getan hast«, sagte Louis.
»Das kann nicht dein Ernst sein«, erklärte Rachel mit der Gewißheit eines Menschen, der sich immer und immer wieder mit einer Sache beschäftigt hat. Er ließ es dabei bewenden. Möglich, daß sie diese grauenhafte, schwärende Erinnerung, die sie so lange verfolgt hatte, irgendwann einmal loswürde -- zumindest das meiste davon --, aber diesen Teil nie. Vollständig nie. Louis Creed war kein Psychiater, aber er wußte, daß es im Terrain jedes Lebens rostige, halb vergrabene Dinge gibt, und daß irgendetwas die Menschen dazu treibt, zu diesen Dingen zurückzukehren und an ihnen zu zerren, einerlei, ob sie sich daran verletzen oder nicht. Heute abend hatte Rachel den größten Teil davon herausgezogen wie einen grotesken, stinkenden, faulen Zahn mit schwarzer Krone, infizierten Nerven und verfaulten Wurzeln. Er war heraus. Sollte die letzte giftige Zelle drinnenbleiben; wenn Gott gnädig war, würde sie Ruhe geben -- außer in ihren tiefsten Träumen. Daß sie imstande gewesen war, so viel herauszuholen, war schon fast unglaublich -- es zeugte nicht nur von ihrem Mut, es posaunte ihn laut heraus. Louis war zutiefst beeindruckt. Am liebsten hätte er laut Beifall geklatscht.
Er setzte sich auf und schaltete das Licht ein. »Ja«, sagte er, »mein Kompliment, wenn du es getan hast. Und wenn ich noch einen weiteren Grund gebraucht hätte, deine Mutter und deinen Vater nicht zu mögen, dann habe ich ihn jetzt. Sie hätten dich nie mit ihr alle inlassen dürfen, Rachel. Nie!«
Wie ein Kind -- das Kind von acht Jahren, das sie gewesen war, als dieser widerwärtige, unglaubliche Vorfall eintrat -- wies sie ihn zurecht: »Louis, es war doch Passah...«
»Von mir aus kann es der Tag des Jüngsten Gerichts gewesen sein«, sagte Louis, und in seiner Stimme lag plötzlich eine so leise und heisere Wut, daß sie ein wenig zurückschreckte. Ihm fielen die beiden Studentinnen ein, die Hilfsschwestern, die das Pech gehabt hatten, an dem Morgen, an dem der sterbende Pascow hereingebracht wurde, Dienst zutun. Die eine von ihnen, ein zähes, kleines Ding namens Carla Shavers, war am nächsten Tag wieder erschienen und hatte sich so gut gemacht, daß sogar Joan Charlton beeindruckt war. Die andere hatten sie nie wieder zu Gesicht bekommen. Louis war nicht überrascht gewesen und machte ihr keinen Vorwurf daraus.
Wo war die Krankenschwester? Eine staatlich geprüfte Krankenschwester hätte da sein müssen -- sie gingen aus, sie gingen tatsächlich aus und überließen es einer Achtjährigen, sich um ihre sterbende Schwester zu kümmern, die zu diesem Zeitpunkt vermutlich klinisch unzurechnungsfähig war. Und warum? Weil Passah war. Und weil die elegante Dory Goldman an jenem Morgen den Gestank nicht mehr aushielt und ihm wenigstens für kurze Zeit entfliehen mußte. Also war es Rachels Aufgabe. Richtig, Freunde und Nachbarn? Es war Rachels Aufgabe. Acht Jahre alt, Zöpfe, Matrosenbluse. Es war Rachels gottverdammte Pflicht. Rachel konnte zu Hause bleiben und sehen, wie sie mit dem Gestank fertig wurde. Wozu schickten sie sie jedes Jahr sechs Wochen nach Camp Sunset in Vermont? Doch nur, damit sie mit dem Gestank ihrer sterbenden, verrückten Schwester fertig wurde. Zehn neue Anzüge und sechs neue Kleider für Ellie, und ich bezahle Ihr Studium, wenn Sie die Einger von meiner Tochter lassen... Aber wo war das überquellende Scheckbuch, als Ihre Tochter an spinaler Meningitis starb und Ihre andere Tochter mit ihr allein war, Sie Mistkerl? Und wo war die verdammte Krankenschwester?
Louis setzte sich auf.
»Wo willst du hin?« fragte Rachel erschrocken.
»Ich hole dir ein Valium.«
»Du weißt doch, daß ich keine...«
»Jetzt tust du es«, sagte er.
Sie nahm die Tablette und erzählte ihm den Rest. Ihre Stimme klang gelassen -- das Beruhigungsmittel tat seine Wirkung.
Eine Nachbarin hatte die achtjährige Rachel hinter einem Baum entdeckt, wo sie kauerte und
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