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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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kommen würde, an dem ihm seine eigenen Blutsverwandten ebenso fremd sein würden -- seine eigenen Enkelkinder, wenn Ellie oder Gage Kinder bekamen und er lange genug lebte, um sie zu sehen. Der Brennpunkt verlagerte sich. Familienbande lösten sich. Junge Gesichter, festgehalten auf alten Photos.
    Gott segne die Vergangenheit, dachte er abermals und faßte die Schulter des alten Mannes fester.
    Die Angestellten legten die Blumen in den Leichenwagen. Die elektrisch gesteuerte Heckklappe hob sich und rastete in ihren Rahmen ein. Louis ging dorthin zurück, wo seine Tochter wartete; dann gingen sie zusammen zu ihrem Kombi. Louis hielt Ellie am Arm, damit sie in ihren guten Schuhen mit den Ledersohlen nicht ausglitt. Automotoren wurden gestartet.
    »Warum schalten sie die Lichter an?« fragte Ellie leicht erstaunt. »Warum schalten sie am hellen Tag ihre Lichter an?«
    »Sie tun es«, sagte Louis und hörte, wie belegt seine Stimme klang, »um die Toten zu ehren, Ellie.« Er drehte den Knopf, der die Scheinwerfer des Wagens aufleuchten ließ. »Und jetzt komm.«
     
     
    Die Beisetzungszeremonie war vorüber -- weil vor dem Frühjahr kein Grab für Norma ausgehoben werden konnte, hatte sie in der kleinen Mount Hope-Kapelle stattgefunden --, und sie waren endlich auf der Heimfahrt, als Ellie plötzlich in Tränen ausbrach.
    Louis sah sie an, überrascht, aber nicht sonderlich bestürzt. »Was ist, Ellie?«
    »Keine Plätzchen mehr«, schluchzte Ellie. »Sie machte die besten Haferflockenplätzchen, die ich je gegessen habe. Aber sie kann keine mehr machen, weil sie tot ist. Daddy, warum müssen Leute tot sein?«
    »Das weiß ich auch nicht genau«, sagte Louis. »Vermutlich, um Platz zu machen für all die neuen Leute. Für Kinder wie dich und deinen Bruder Gage.«
    »Ich werde nie heiraten oder Sex machen und Babies kriegen!« erklärte Ellie, noch heftiger weinend. »Vielleicht brauche ich dann nicht zu sterben! Es ist abscheulich! Es ist gemein!«
    » Aber es macht dem Leiden ein Ende«, sagte Louis gelassen. »Und als Arzt sehe ich eine Menge Leiden. Das war auch der Grund dafür, daß ich mich um die Stellung an der Universität beworben habe. Ich hatte es satt, es tagein, tagaus vor Augen zu haben. Junge Leute haben oft Schmerzen -- manchmal sogar schlimme Schmerzen --, aber das ist nicht dasselbe wie Leiden.« Er hielt inne. »Ob du es glaubst oder nicht, Kleines -- wenn Leute sehr alt werden, kommt ihnen der Tod nicht immer so schlimm oder beängstigend vor, wie du vielleicht glaubst. Und du hast noch viele, viele Jahre vor dir.«
    Ellie weinte, dann schnüffelte sie, und dann hörte sie auf. Noch bevor sie zu Hause angekommen waren, fragte sie, ob sie das Radio einschalten dürfte. Louis erlaubte es, und sie fand Shakin' Stevens, der »This 'Ole House« sang. Bald sang sie mit. Als sie zu Hause waren, ging sie zu ihrer Mutter und erzählte ihr von der Beerdigung; Rachel brachte es fertig, ruhig, anteilnehmend und scheinbar interessiert zuzuhören -- obwohl Louis fand, daß sie blaß und nachdenklich aussah.
    Dann fragte Ellie, ob sie wüßte, wie man Haferflockenplätzchen macht. Rachel legte ihr Strickzeug beiseite und stand auf, als hätte sie auf diese oder eine ähnliche Frage gewartet.
    »Ja«, sagte sie. »Wollen wir welche backen?«
    »Ja!« rief Ellie. »Können wir das wirklich?«
    »Wenn dein Vater eine Stunde auf Gage aufpaßt?«
    »Ich passe auf ihn auf«, sagte Louis. »Mit Vergnügen.«
     
     
    Louis verbrachte den Abend damit, zu lesen und sich zu einem langen Artikel im Duquesne Medical Digest Notizen zu machen; die alte Kontroverse über resorptionsfähiges Nahtmaterial war wieder aufgeflammt. In der kleinen Welt jener relativ wenigen Menschen auf der Erde, die mit dem Nähen kleinerer Wunden zu tun haben, schien sie ebenso endlos zu sein wie der alte psychologische Streitpunkt Natur kontra Erziehung.
    Er hatte vor, noch an diesem Abend einen geharnischten Brief zu schreiben, in dem er nachweisen wollte, daß die Hauptargumente des Autors falsch seien, die angeführten Beispiele parteiisch, die Forschungsarbeit von fast krimineller Schlampigkeit. Kurzum, Louis freute sich darauf, den dämlichen Kerl schlicht von der Landkarte zu pusten. Er suchte gerade in seinem Bücherregal nach Troutmans Treatment of Wounds, als Rachel die halbe Treppe herunterkam.
    »Kommst du, Louis?«
    »Es dauert noch eine Weile.« Er blickte zu ihr hinauf. »Alles in Ordnung?«
    »Sie schlafen fest, alle beide.«
    Louis

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