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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Timmy. Schluß damit!‹. Aber Timmy dachte nicht daran. Er sagte etwas Übles zu Hannibal, und dann sagte er etwas Übles zu mir, und dann war es so weit, daß er -- ja, ich würde sagen, daß er wütete. Er wütete tatsächlich. Schrie und tobte. Und wir wichen zurück, und dann fingen wir an zu rennen und schleppten George an den Armen mit, so gut wir konnten, weil sich die Schnüre und Riemen an seinem Holzbein irgendwie verdreht hatten -- es hing neben dem Stumpf, die Schuhspitze zeigte nach hinten und schleifte auf dem Gras.
    So habe ich Timmy Baterman zum letzten Mal gesehen, auf dem Rasen hinter dem Haus, unter der Wäscheleine, das Gesicht rot von der untergehenden Sonne, diese Flecke im Gesicht, das Haar struppig und irgendwie voller Staub -- und er lachte und kreischte immer wieder ›Old Hinkebein! Old Hinkebein! Und der Hahnrei! Und der Hurenbock! Auf Wiedersehen, die Herren! Auf Wiedersehen! Wiedersehen!‹ Und dann lachte er, aber in Wirklichkeit war es ein Kreischen. Irgendetwas in ihm kreischte -- und kreischte -- und kreischte.«
    Jud hielt inne. Seine Brust hob und senkte sich rasch.
    »Jud«, sagte Louis. »Das, was Timmy Baterman über Sie gesagt hat -- war das wahr?«
    »Ja, das war es«, murmelte Jud. »Bei Gott, es war wahr. Ich bin gelegentlich in Bangor in ein Bordell gegangen. Es gibt noch mehr Männer, die das tun -- obwohl es sicher viele gibt, die nie vom rechten Pfad abweichen. Ich hatte einfach das Verlangen -- vielleicht den Drang --, hin und wieder einmal in fremdes Fleisch einzudringen. Oder eine Frau dafür zu bezahlen, daß sie Dinge tut, die man von der eigenen Frau nicht verlangen kann. Dergleichen überkommt einen gelegentlich, Louis. Es war kein Verbrechen, das ich begangen habe; außerdem lag das alles inzwischen acht oder neun Jahre zurück, und Norma hätte mich nicht verlassen, wenn sie es gewußt hätte. Aber irgendetwas in ihr wäre für immer gestorben. Etwas, das mir lieb und teuer war.«
    Juds Augen waren rot und verschwollen und trübe. Die Tränen alter Leute sind irgendwie abstoßend, dachte Louis. Aber als Jud über den Tisch hinweg nach seiner Hand tastete, ergriff er sie.
    »Er sagte uns nur das Schlechte«, fuhr Jud nach einer kleinen Pause fort. »Nur das Schlechte. Davon gibt es im Leben jedes Menschen weiß Gott genug, meinen Sie nicht auch? Zwei oder drei Tage später verschwand Laurine Purinton aus Ludlow, und Leute, die sie sahen, bevor sie in den Zug stieg, sagten, sie hätte zwei blaue Augen gehabt und Wattebäusche in beiden Nasenlöchern. Alan hat nie darüber gesprochen. George ist 1950 gestorben, und ich wüßte nicht, daß er seinen Enkeln etwas hinterlassen hat. Hannibal flog aus seinem Amt -- genau um dessentwillen, was Timmy Baterman ihm vorgeworfen hatte. Ich sage Ihnen nicht, was es genau war -- das brauchen Sie nicht zu wissen --, aber Veruntreuung von öffentlichen Geldern kommt der Sache sehr nahe. Man redete sogar davon, ihn wegen Unterschlagung anzuklagen, aber es kam nicht viel dabei heraus. Daß er seinen Posten verlor, war schon Strafe genug für ihn; sein Leben lang hatte er den großen Mann gespielt.
    Aber in diesen Männern steckte auch Gutes. Das finde ich jedenfalls, auch wenn es den Leuten hinterher schwerfällt, sich daran zu erinnern. Es war Hannibal, der kurz vor dem Krieg das Geld für das Eastern General Hospital lockergemacht hat. Alan Purinton war einer der großzügigsten, freigebigsten Männer, die mir je begegnet sind. Und der alte George Andersen wollte nicht mehr, als bis an sein Lebensende Posthalter bleiben.
    Es war nur das Schlechte, wovon es reden wollte. Es wollte, daß wir uns nur an das Schlechte erinnern, weil es selber schlecht war und weil es wußte, daß wir es bedrohten. Der Timmy Baterman, der in den Krieg zog, war ein ganz gewöhnlicher netter Junge, vielleicht nicht besonders intelligent, aber gutherzig. Das Ding, das wir an jenem Abend in diese rote Sonne starren sahen -- das war ein Monster. Vielleicht war es ein Zombie oder ein Dibbuk oder ein Dämon. Vielleicht gibt es für ein solches Ding überhaupt keinen Namen. Aber die Micmac hätten gewußt, was es war, ob es nun einen Namen hatte oder nicht.«
    »Und zwar?« fragte Louis wie betäubt.
    »Etwas, das der Wendigo berührt hat«, sagte Jud leise. Er holte tief Luft, hielt sie einen Augenblick an und atmete dann aus. Er sah auf seine Uhr.
    »Du lieber Gott, es ist schon spät, Louis. Ich habe neunmal mehr geredet, als ich eigentlich

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