Friedhof der Kuscheltiere
wollte.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Louis. »Es war eine beeindruckende Geschichte. Und wie ist sie ausgegangen?«
»Zwei Abende später brach bei den Batermans Feuer aus«, sagte Jud. »Das Haus brannte vollständig ab. Alan Purinton sagte, es bestünde nicht der geringste Zweifel daran, daß der Brand gelegt worden war. Überall im Haus war Heizöl verschüttet worden. Man roch es noch drei Tage, nachdem der Brand gelöscht war.«
»Und sie sind beide verbrannt?«
»Ja, sie sind beide verbrannt. Aber tot waren sie schon vorher. Timmy war mit einer alten Colt-Pistole, die Bill Baterman gehörte, zweimal in die Brust geschossen worden. Sie fanden die Waffe in Bills Hand. So, wie es aussah, hatte er zuerst seinen Sohn erschossen und aufs Bett gelegt und dann das Öl verschüttet. Dann hatte er sich in seinen Sessel neben dem Radio gesetzt, ein Streichholz angezündet und den Lauf der Fünfundvierziger in den Mund gesteckt.«
»Großer Gott«, sagte Louis.
»Sie waren beide ziemlich verkohlt, aber der Coroner sagte, seiner Ansicht nach wäre Timmy Baterman schon seit zwei oder drei Wochen tot gewesen.«
Stille. Ticken der Zeit.
Jud stand auf. »Ich habe nicht übertrieben, Louis, als ich sagte, ich hätte Ihren Sohn umgebracht oder wäre nicht unschuldig an seinem Tod. Die Micmac kannten den Ort, aber das muß nicht bedeuten, daß sie ihn zu dem machten, was er ist. Die Micmac waren nicht immer hier. Vielleicht kamen sie aus Kanada, vielleicht auch aus Rußland oder irgendwoher aus Asien, vor langer, langer Zeit. Sie blieben tausend Jahre hier in Maine, vielleicht auch zweitausend -- das ist schwer zu sagen, weil sie dem Land keinen tiefen Stempel aufprägten. Und jetzt sind sie wieder fort -- vielleicht sind auch wir eines Tages nicht mehr da, wenn ich auch annehme, daß unser Stempel tiefer geht, im Guten wie im Schlechten. Aber der Ort bleibt -- einerlei, wer hier lebt. Er gehört nicht irgendwem, der sein Geheimnis mitnimmt, wenn er weiterzieht. Es ist ein böser, verderbter Ort; ich hätte Sie nicht mit hinaufnehmen dürfen, um Ihren Kater dort zu begraben. Jetzt weiß ich das. Der Ort hat eine Macht, vor der man sich hüten muß, wenn man sich selbst und seine Familie vor Schaden bewahren will. Ich hatte nicht die Kraft, ihr zu widerstehen. Sie hatten Norma das Leben gerettet, und ich wollte Ihnen einen Gefallen tun -- aber der Ort hat meine gute Absicht für seine bösen Zwecke ausgenutzt. Er hat Macht -- und ich glaube, daß diese Macht Phasen durchläuft wie der Mond. Er hat schon früher seine volle Macht ausgeübt, und ich fürchte, daß es jetzt wieder so weit ist. Ich fürchte, diese Macht hat sich meiner bedient, um über Ihren Sohn an Sie heranzukommen. Verstehen Sie, Louis, worauf ich hinauswill?« Seine Augen flehten Louis an.
»Sie wollen damit sagen -- der Ort wußte, daß Gage sterben würde«, sagte Louis.
»Nein. Ich will damit sagen, daß der Ort Gages Tod herbeiführte, weil ich Sie seiner Macht ausgesetzt habe. Ich will damit sagen, daß ich Ihren Sohn ermordet habe, Louis -- in bester Absicht!«
»Ich glaube es nicht«, sagte Louis schließlich mit zitternder Stimme. Er wollte, er konnte es nicht glauben.
Er ergriff Juds Hand und drückte sie fest. »Morgen wird Gage beerdigt. In Bangor. Und in Bangor wird er bleiben. Ich habe nicht vor, jemals wieder zum Tierfriedhof zu gehen -- oder darüber hinaus.«
»Versprechen Sie es mir!« sagte Jud heiser. »Versprechen Sie es.«
»Ich verspreche es«, sagte Louis.
Aber im Hintergrund seines Bewußtseins blieb der Gedanke zurück -- der tanzende Funke einer Erwartung, der nicht ganz verlöschen wollte.
40
Aber nichts von alledem geschah.
Das alles -- der dröhnende Orinco-Laster, die Finger, die den Rücken von Gages Jacke noch eben berührten und dann abglitten, Rachel, die im Hauskleid ins Begräbnisinstitut kommen wollte, Ellie, die Gages Photo mit sich herumtrug und seinen Stuhl neben ihr Bett stellte, Steve Mastertons Tränen, die tätliche Auseinandersetzung mit Irwin Goldman, Jud Crandalls grauenhafte Geschichte von Timmy Baterman --, all das gab es nur in den wenigen Sekunden, in denen Louis seinem lachenden Sohn zur Straße hinunter nachjagte. Hinter ihm schrie Rachel abermals -- Nicht, Gage! Bleib stehen! --, aber Louis vergeudete seinen Atem nicht. Es würde knapp werden, sehr knapp, ja, und eines dieser Dinge geschah tatsächlich: von irgendwoher die Straße hinauf hörte er das Dröhnen des näherkommenden
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