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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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äußeren Kreis stieß er auf ein Stück Schiefer, auf das mit verblichener Farbe, aber noch deutlich lesbar ein Name geschrieben stand: BIFFER. Und darunter eine Art Vers: BIFFER ERSCHNUPPERTE ALLES GLEICH, UND BIS ER STARB, WAREN WIR REICH.
    »Biffer war der Cockerspaniel der Desslers«, sagte Jud. Er hatte mit dem Schuhabsatz eine Vertiefung in den Boden gescharrt, in die er jetzt sorgfältig seine Asche fallen ließ. »Wurde im letzten Jahr von einem Kipplaster überfahren. Ist das nicht ein schönes Gedicht?«
    »Das ist es«, pflichtete Louis bei.
    Auf einigen Gräbern lagen Blumen, manche frisch, die meisten verwelkt, nicht wenige völlig verrottet. Mehr als die Hälfte der gemalten oder geschriebenen Inschriften, die Louis zu entziffern versuchte, waren bis zur Unleserlichkeit verblichen. Auf anderen war überhaupt nichts mehr zuerkennen; Louis vermutete, daß sie vielleicht Kreide- oder Bleistiftaufschriften getragen hatten.
    »Mom!« rief Ellie. »Hier ist ein Goldfisch! Komm und sieh dir das an!«
    »Nein, danke«, sagte Rachel, und Louis sah zu ihr hinüber. Sie stand ganz allein außerhalb des äußersten Kreises und schien sich unbehaglicher zu fühlen als je zuvor. Sogar das hier regt sie auf, dachte Louis. Sie hatte die Begleitumstände des Todes nie gelassen hingenommen (aber wer tat das schon?) -- wahrscheinlich ihrer Schwester wegen. Rachels Schwester war sehr jung gestorben. Ihr Tod hatte eine Narbe hinterlassen, die man, wie Louis schon zu Beginn ihrer Ehe erfahren hatte, nicht berühren durfte. Sie hatte Zelda geheißen und war an spinaler Meningitis gestorben. Die tödliche Krankheit war vermutlich lang, schmerzhaft und widerwärtig gewesen, und Rachel mochte in einem leicht beeindruckbaren Alter gewesen sein. Das Beste war sicher, dachte Louis, wenn sie versuchte, es zu vergessen.
    Louis zwinkerte ihr zu, und Rachel lächelte dankbar.
    Louis blickte auf. Sie befanden sich in einer natürlichen Lichtung. Das war wohl der Grund dafür, daß das Gras so gut gedieh -- die Sonne konnte einfallen. Trotzdem mußte es gegossen und sorgsam gepflegt werden. Das bedeutete, daß Wasser auf schmalen Rücken hier heraufgeschleppt worden war, in Kannen oder anderen Gefäßen, die noch schwerer waren als Gage in seinem Gerrypack. Wieder fiel ihm auf, wie merkwürdig es war, daß Kinder so lange an einer Sache festhielten. Seine eigenen Erinnerungen an kindliche Begeisterung, durch den Umgang mit Ellie wieder wachgerufen, besagten eher, daß sie brannten wie Zeitungspapier -- auflodernd, heiß -- und schnell wieder erloschen.
    Zur Mitte hin wurden die Gräber älter; immer weniger Inschriften waren lesbar, aber diejenigen, die er entziffern konnte, führten wie ein Ariadnefaden in die Vergangenheit. Hier lag TRIXIE, AM 15. SEPTEMBER 1968 ÜBERFAHREN. Im gleichen Kreis fand sich ein großes, flaches, tief in die Erde eingelassenes Brett. Frost und Tauwetter hatten es gekrümmt und zur Seite kippen lassen, aber Louis konnte immer noch lesen: ZUR ERINNERUNG AN MARTHA UNSER KANINCHEN, GESTORBEN 1. MÄRZ 1965. Eine Reihe weiter fand er GEN. PATTON (UNSER! GUTER! HUND!, wie die Inschrift erläuterte), der 1958 gestorben war; und POLYNESIA (das mußte ein Papagei gewesen sein, wenn Louis seinen Doktor Doolittle richtig im Kopf hatte), die ihr letztes ›Polly will einen Keks‹ im Sommer 1953 gekrächzt hatte. In den nächsten beiden Kreisen war nichts zu lesen, und dann, immer noch weit vom Zentrum entfernt, fand er in ein Stück Sandstein eingemeißelt, HANNAH DIE BESTE HÜNDIN DIE ES JE GAB 1929-1939. Obwohl Sandstein relativ weich war -- und die Inschrift deshalb gerade noch zu ahnen --, konnte Louis sich nur mit Mühe vorstellen, daß ein Kind ungezählte Stunden damit verbracht hatte, diese acht Worte in den Stein zu meißeln. Diese völlige Hingabe an Liebe und Trauer hatte etwas Erschütterndes: es war etwas, das Eltern nicht einmal für ihre eigenen Eltern taten oder für ihre Kinder, wenn sie jung starben.
    »Das geht ganz schön weit zurück«, sagte er zu Jud, der zu ihm herüber geschlendert war.
    Jud nickte. »Kommen Sie, Louis. Ich will Ihnen etwas zeigen.«
    Sie gingen zur drittinnersten Reihe. Hier war die kreisförmige Anordnung, die in den äußeren Reihen eher zufällig wirkte, nicht zu übersehen. Jud blieb vor einem Stückchen Schiefer stehen, das umgefallen war. Er kniete nieder und richtete es wieder auf.
    »Früher standen hier ein paar Worte«, sagte er. »Ich habe sie selbst eingemeißelt,

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