Friedhof der Kuscheltiere
dauert es länger.«
»Warum bist du dann kein Spezialist, Daddy?«
Louis dachte wieder an seine Modelle und daran, daß er eines Tages einfach keine Lust mehr gehabt hatte, noch weitere Kriegsflugzeuge zu bauen, daß er der Tiger-Tanks und Geschützstellungen ebenso überdrüssig geworden war, wie er (fast über Nacht, wie es in der Rückschau schien) eingesehen hatte, daß das Bauen von Schiffen in Flaschen ziemlich öde war; und dann dachte er daran, was es hieß, wenn man sein ganzes Leben damit zubrachte, Kinderfüße auf Hammerzehen zu untersuchen oder dünne Latexhandschuhe überzustreifen, um die Vagina einer Frau mit erfahrenem Finger auf Schwellungen und krankhafte Veränderungen abzutasten.
»Es würde mir keinen Spaß machen«, sagte er.
Church kam ins Zimmer, blieb stehen und prüfte mit seinen leuchtendgrünen Augen die Lage. Er sprang lautlos auf die Fensterbank und schien schlafen zu wollen.
Ellie sah ihn an und runzelte die Stirn, was Louis äußerst seltsam vorkam. Normalerweise lag auf ihrem Gesicht, wenn sie Church betrachtete, ein Ausdruck so hingebungsvoller Liebe, daß es fast wehtat. Sie begann in seinem Arbeitszimmer umherzuwandern, sah sich verschiedene Modelle an und sagte dann fast beiläufig: »Das waren eine ganz schöne Menge Gräber da oben auf dem Tierfriedhof, meinst du nicht?«
Aha, das also war's, dachte Louis, drehte sich jedoch nicht um; er blätterte in seiner Arbeitsanleitung und begann dann, die Scheinwerfer am Rolls anzubringen.
»Ja, das stimmt«, sagte er. »Über hundert, würde ich sagen.«
»Daddy, warum leben Haustiere nicht so lange wie Menschen?«
»Manche Tiere leben ungefähr ebenso lange«, sagte er, »und einige noch viel länger. Elefanten leben sehr lange, und manche Meeresschildkröten sind so alt, daß die Leute nicht einmal wissen, wie alt sie sind -- vielleicht wissen sie es auch und wollen es nur nicht glauben.«
Ellie schob seine Worte beiseite. »Elefanten und Meeresschildkröten sind keine Haustiere. Haustiere leben gar nicht lange. Michael Burns hat gesagt, jedes Jahr, das ein Hund erlebt, ist genau so viel wie neun Jahre bei uns.«
»Sieben«, korrigierte Louis automatisch. »Aber ich verstehe, worauf du hinauswillst, Kleines, und da ist etwas Wahres dran. Ein Hund, der zwölf Jahre alt geworden ist, ist ein alter Hund. Siehst du, es gibt etwas, das man Stoffwechsel nennt, und allem Anschein nach ist er es, der die Uhr stellt. Er hat auch noch andere Funktionen -- bei manchen Leuten bewirkt er, daß sie viel essen können und trotzdem schlank bleiben, wie deine Mutter. Andere Leute -- zum Beispiel ich -- essen ebenso viel und werden dick. Aber in erster Linie scheint der Stoffwechsel bei allen Lebewesen eine Art innere Uhr zu sein. Hunde haben einen ziemlich schnellen Stoffwechsel. Bei Menschen läuft der Stoffwechsel viel langsamer. Die meisten Menschen werden ungefähr zweiundsiebzigJahre alt. Und glaube mir, zweiundsiebzig Jahre sind eine sehr lange Zeit.«
Ellie sah so beunruhigt aus, daß er hoffte, seine Worte klängen ehrlicher, als sie ihm selbst vorkamen. Er war fünfunddreißig, und ihm kam es vor, als wären die Jahre so schnell und flüchtig vergangen wie ein Schwall Zugluft unter einer Tür. »Und Meeresschildkröten haben sogar einen noch langsameren Stoff...«
»Und was ist mit Katern?« fragte Ellie und blickte zu Church.
»Kater leben ungefähr ebenso lange wie Hunde«, sagte er. »Jedenfalls in den meisten Fällen.« Das war eine Lüge, und er wußte es. Kater lebten gefährlich und starben oft eines blutigen Todes, fast immer knapp außerhalb der Sichtweite der Menschen. Hier lag Church, der in der Sonne döste (oder zumindest so tat), Church, der jede Nacht friedlich im Bett seiner Tochter schlief, Church, der so niedlich gewesen war, als er noch klein war, völlig in ein Knäuel Bindfaden verheddert. Aber Louis hatte ihn beobachtet, wie er sich an einen Vogel mit gebrochenem Flügel heranschlich und seine grünen Augen vor Neugier und -- ja, darauf hätte Louis schwören mögen -- vor eiskaltem Entzücken funkelten. Er tötete nur selten, was er belauerte, aber es hatte eine bemerkenswerte Ausnahme gegeben -- eine große Ratte, die offenbar in der Gasse zwischen ihrem Mietshaus und dem Nachbarhaus gefangensaß. Diesem Biest hatte Church den Garaus gemacht. Es war so zerfetzt und blutbesudelt, daß Rachel, damals im sechsten Monat mit Gage schwanger, ins Badezimmer laufen und sich übergeben mußte. Gewaltsames Leben,
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