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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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nicht im mindesten vorbereitet war.
    Miau!... Miau!... Miau!
    »Church?« fragte sie, überrascht und verwirrt. Sie beugte sich vor, aber man konnte natürlich nicht hineinsehen; eine hübsche weiße Gardine bedeckte die Glasscheibe der Tür. Normas Werk. »Church, bist du das?«
    Miau!
    Rachel probierte die Tür. Sie war unverschlossen. Church saß in der Diele, den Schwanz um die Pfoten gelegt. Auf seinem Fell waren dunkle Flecke. Schlamm, dachte Rachel, und dann sah sie, daß die Tropfen, die an Churchs Schnurrhaaren hingen, rot waren.
    Er hob eine Pfote und begann sich zu putzen, aber sein Blick ruhte unverwandt auf ihrem Gesicht.
    »Jud?« rief sie, jetzt zutiefst geängstigt. Sie tat einen Schritt über die Schwelle.
    Aus dem Haus kam keine Antwort; nur Stille.
    Rachel versuchte zu denken, aber ganz plötzlich stiegen Bilder von ihrer Schwester Zelda in ihr auf und ließen alle Gedanken verschwimmen. Wie sich ihre Hände verkrümmt hatten. Wie sie mit dem Kopf gegen die Wand schlug, wenn sie wütend war -- die Tapete war zerrissen, der Putz darunter aufgesprungen und zerbröckelt. Aber jetzt war nicht die Zeit, an Zelda zu denken. Womöglich war Jud verletzt. Vielleicht war er gestürzt. Er war ein alter Mann.
    Denk daran, nicht an die Träume, die du als Kind hattest. Träume, in denen die Schranktür aufgeht und Zelda mit ihrem geschwärzten, grinsenden Gesicht auf dich zukommt. Träume, in denen du in der Badewanne sitzt und Zeldas Augen dir aus dem Abfluß entgegenblicken. Träume, in denen Zelda hinter dem Heizungskessel im Keller lauert. Träume...
    Church öffnete das Maul, entblößte seine scharfen Zähne und ließ wieder ein Miau! hören.
    Louis hatte recht, wir hätten ihn nicht kastrieren lassen sollen: seither stimmt etwas nicht mit ihm. Aber Louis meinte, es würde seine aggressiven Instinkte dämpfen. Das war ein Irrtum. Church geht nach wie vor auf Jagd. Er...
    Miau! schrie Church abermals, dann machte er kehrt und schoß die Treppe hinauf.
    »Jud?« rief sie wieder. »Sind Sie da oben?«
    Miau! schrie Church von der obersten Treppenstufe, wie um die Vermutung zu bestätigen, und verschwand im Flur.
    Wie war er überhaupt ins Haus gekommen? Hatte Jud ihn hereingelassen? Warum?
    Rachel trat von einem Fuß auf den anderen und überlegte, was sie tun sollte. Das Schlimmste war, daß ihr das alles irgendwie -- irgendwie arrangiert vorkam, so, als wollte etwas, daß sie sich hier befand und...
    Dann kam von oben ein Stöhnen, leise und schmerzgepeinigt -- Juds Stimme, eindeutig Juds Stimme. Er ist im Badezimmer gestürzt, vielleicht ausgeglitten, hat sich ein Bein gebrochen, vielleicht auch das Hüftgelenk, alte Knochen sind spröde. Und was denkst du dir eigentlich dabei, hier zu stehen und von einem Fuß auf den anderen zu treten? Du mußt hinauf ins Badezimmer. Church hatte Blut an sich, Blut, Jud ist verletzt, und du stehst hier herum! Was ist los mit dir?
    »Jud!« Das Stöhnen kam wieder, und sie rannte die Treppe hinauf.
    Sie war noch nie im Obergeschoß gewesen, und da das einzige Fenster des Flurs nach Westen zeigte, zum Fluß hin, war es noch immer sehr dunkel. Der Flur zog sich breit und gerade am Treppenhaus entlang und führte in den hinteren Teil des Hauses: das Kirschbaumgeländer schimmerte in matter Eleganz. An der Wand hing ein Bild der Akropolis, und
    (es ist Zelda, all die Jahre hatte sie es auf mich abgesehen, und jetzt ist ihre Zeit gekommen, öffne die richtige Tür, und dann steht sie da mit ihrem buckligen, verkrüppelten Rücken, stinkt nach Pisse und Tod, es ist Zelda, ihre Zeit ist gekommen, endlich hat sie dich eingeholt)
    das Stöhnen kam wieder, hinter der zweiten Tür rechts.
    Rachel ging auf die Tür zu; ihre Absätze klapperten auf den Dielenbrettern. Ihr war, als erführe sie eine Art Verschiebung -- keine Zeitverschiebung, keine Raumverschiebung, sondern eine Größenverschiebung. Sie wurde kleiner. Das Bild der Akropolis trieb höher und höher, und bald würde sich der Türknopf aus geschliffenem Glas in Augenhöhe befinden. Sie streckte die Hand danach aus -- und noch bevor sie ihn berühren konnte, wurde die Tür aufgerissen.
    Zelda stand vor ihr.
    Sie war bucklig verkrümmt, ihr Körper so grausam deformiert, daß sie sich in einen Zwerg verwandelt hatte, kaum einen Meter groß; und aus irgendeinem Grund trug Zelda den Anzug, in dem sie Gage begraben hatten. Aber es war Zelda, ganz offensichtlich, ein wahnsinniges Frohlocken in den Augen, das Gesicht

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