Friedhof der Kuscheltiere
gewaltsamer Tod. Ein Hund erwischte sie und schlug seine Zähne in sie, anstatt nur hinter ihnen herzujagen wie die unbeholfenen, leicht zu übertölpenden Hunde der Zeichentrickfilme im Fernsehen. Oder sie fielen einem anderen Kater zum Opfer, einem vergifteten Köder, einem vorüberfahrenden Auto. Die Kater waren die Gangster der Tierwelt, sie lebten außerhalb des Gesetzes und starben oft auch dort. Es gab nur sehr wenige, die am warmen Ofen alt wurden.
Aber das waren vielleicht nicht die Sachen, die man seiner fünfjährigen Tochter erzählt, wenn sie sich zum ersten Mal mit den Tatsachen des Todes beschäftigt.
»Immerhin«, sagte er, »ist Church erst drei, und du bist fünf. Er kann noch am Leben sein, wenn du fünfzehn bist und schon zur High School gehst. Und bis dahin ist es noch eine lange Zeit.«
»Mir kommt sie nicht lang vor«, sagte Ellie, und jetzt bebte ihre Stimme. » Gar nicht lang.«
Louis hörte auf, so zu tun, als wäre er mit seinem Modell beschäftigt, und winkte sie zu sich. Sie setzte sich auf seinen Schoß, und wieder beeindruckte ihn ihre Schönheit, die jetzt durch ihre innere Erregung noch unterstrichen wurde. Sie hatte eine dunkle, fast levantinische Haut. Tony Benton, einer der Ärzte, mit denen er in Chicago zusammengearbeitet hatte, hatte sie die indische Prinzessin genannt.
»Wenn es nach mir ginge, Kleines«, sagte er, »ließe ich Church leben, bis er hundert ist. Aber ich treffe die Entscheidung nicht.«
»Wer denn?« fragte sie, und dann, mit grenzenloser Bitterkeit: »Wahrscheinlich Gott.«
Louis unterdrückte den Drang zu lachen. Das war zu ernst.
»Gott oder sonst jemand«, sagte er. »Die Uhr läuft ab -- mehr kann ich dazu nicht sagen. Es gibt keine Garantien, Baby.«
»Ich will nicht, daß Church so ist wie all die anderen toten Tiere«, rief sie, plötzlich den Tränen nahe und wütend. »Ich will nicht, daß Church einmal tot ist! Er ist mein Kater! Er ist nicht Gottes Kater! Gott kann seinen eigenen Kater haben! Gott kann alle verdammten alten Kater haben, die er will, und sie alle sterben lassen! Aber Church gehört mir!«
Schritte tappten durch die Küche, und Rachel schaute bestürzt herein. Ellie weinte jetzt, den Kopf an Louis' Brust. Das Entsetzen war in Worte gefaßt; es war heraus; es hatte sein Gesicht gezeigt und konnte betrachtet werden. Jetzt konnte man es, wenn schon nicht ändern, so wenigstens beweinen.
»Ellie«, sagte er und wiegte sie. »Ellie. Ellie, Church ist doch nicht tot; er liegt dort drüben und schläft.«
»Aber er könnte tot sein«, schluchzte sie. »Er könnte sterben, jederzeit.«
Er hielt sie in den Armen und wiegte sie, zu Recht oder zu Unrecht überzeugt, daß Ellie weinte, weil der Tod unbeeinflußbar war und über Argumente ebenso erhaben wie über die Tränen eines kleinen Mädchens; daß sie weinte, weil er so grausam unberechenbar war; und daß sie die wunderbare, eiskalte Fähigkeit der Menschen beweinte, Symbole in Schlußfolgerungen umzuwandeln, die entweder schön und gut waren oder finsteres Entsetzen hervorriefen. Wenn all diese Tiere tot und begraben waren, dann konnte Church (jederzeit) sterben und begraben werden; und wenn das Church passieren konnte, dann konnte es auch ihrer Mutter passieren, ihrem Vater, ihrem kleinen Bruder. Ihr selbst. Der Tod war eine verschwommene Idee; der Tierfriedhof war Realität. Auf seinen unbeholfenen Gedenktafeln standen Wahrheiten, die sogar Kinderhände greifen konnten.
Es wäre einfach gewesen, an diesem Punkt zu lügen, wie er kurz zuvor gelogen hatte, als es um die Lebenserwartung von Katern ging. Aber eine Lüge würde sich ins Gedächtnis einprägen und vielleicht sogar auf dem Zeugnis erscheinen, daß alle Kinder ihren Eltern ausstellen. Seine eigene Mutter hatte ihm eine derartige Lüge erzählt, die harmlose Lüge, daß Frauen ihre Babies im taunassen Gras fänden, wenn sie sie wirklich haben wollten; und so harmlos die Lüge auch gewesen war, konnte Louis seiner Mutter doch nie verzeihen, daß sie sie erzählte -- und sich selbst nicht, daß er sie geglaubt hatte.
»Kleines«, sagte er, »es passiert nun einmal. Es ist ein Teil des Lebens.«
»Ein schlechter Teil«, weinte sie. »Ein ganz schlechter Teil!«
Darauf gab es keine Antwort. Sie weinte. Irgendwann würden ihre Tränen versiegen. Es war ein notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einem unsicheren Frieden mit einer Wahrheit, die nie verblassen würde.
Er hielt seine Tochter im Arm und hörte den Klang
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