Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
gleichfalls weinend. »Jetzt hast du auch noch den Jungen aufgeweckt. Vielen Dank für einen netten, ruhigen, friedlichen Sonntagmorgen.«
    Sie wollte an ihm vorübergehen, und Louis legte eine Hand auf ihren Arm »Eine Frage noch«, sagte er, »weil ich weiß, daß mit Lebewesen alles -- buchstäblich alles -- passieren kann. Als Arzt weiß ich das. Willst du es sein, die ihr erklärt, was geschehen ist, wenn Church Katzenschnupfen oder Leukämie bekommt -- Katzen sind sehr anfällig für Leukämie, mußt du wissen -- oder auf der Straße dort drüben überfahren wird? Willst du es sein, Rachel?«
    »Laß mich los«, fauchte sie. Der Zorn in ihrer Stimme war jedoch weniger stark als der Schmerz und das verworrene Entsetzen in ihren Augen. Ich will nicht darüber reden, Louis, und du kannst mich nicht dazu bringen, sagte dieser Blick. »Laß mich los. Ich will Gage holen, bevor er aus dem Bett fällt...«
    »Weil es nämlich nur recht und billig wäre, wenn du es bist«, sagte er. »Du kannst ihr erzählen, wir redeten nicht darüber. Anständige Leute reden nicht darüber, sie begraben nur -- aber sag ja nicht ›begraben‹, davon könnte sie einen Komplex kriegen.«
    »Ich hasse dich!« schrie Rachel und riß sich von ihm los.
    Jetzt tat es ihm natürlich leid, und jetzt war es natürlich zu spät.
    »Rachel...«
    Sie schob ihn beiseite, noch heftiger weinend. »Laß mich in Ruhe! Du hast genug angerichtet.« Sie blieb an der Küchentür stehen, drehte sich zu ihm um, und die Tränen rannen ihr übers Gesicht. »Ich will nicht, daß dies noch einmal vor Ellie zur Sprache kommt, Lou. Es ist mir ernst damit. Der Tod hat nichts Natürliches an sich. Nicht das mindeste. Als Arzt solltest du das wissen.«
    Sie machte kehrt und war fort; Louis stand in der leeren Küche, in der noch ihre Stimmen widerhallten. Schließlich ging er zum Schrank und holte den Besen heraus. Während er das Mehl zusammenfegte, dachte er über das nach, was sie zuletzt gesagt hatte, und über die gewaltige Kluft zwischen ihren Ansichten, die so lange unentdeckt geblieben war. Gerade als Arzt wußte er, daß der Tod, die Geburt vielleicht ausgenommen, die natürlichste Sache von der Welt war. Steuern waren nicht so verläßlich; Konflikte zwischen Menschen waren es nicht; Konflikte der Gesellschaft waren es nicht; das wirtschaftliche Auf und Ab war es nicht. Letzten Endes gab es nur noch die Uhr und die Gedenktafeln, die im Laufe der Zeit verblaßten und namenlos wurden. Auch für Meeresschildkröten und Sequoien kam einmal der Tag.
    »Zelda«, sagte er laut. »Du lieber Himmel, das muß schlimm gewesen sein für sie.«
    Sollte er den Dingen ihren Lauf lassen, oder sollte er versuchen, etwas dagegen zu tun? Das war die Frage.
    Er kippte das Kehrblech über dem Mülleimer, und das Mehl glitt fast lautlos herunter und überpuderte die weggeworfenen Packungen und leeren Dosen.

10
    »Ich hoffe, es hat Ellie nicht zu hart getroffen«, sagte Jud Crandall. Nicht zum ersten Mal dachte Louis, daß dieser Mann über die merkwürdige -- und nicht sonderlich angenehme -- Gabe verfügte, den Finger sanft auf jeden wunden Punkt zu legen.
    Er und Jud und Norma Crandall saßen auf der Veranda der Crandalls und tranken Eistee anstelle von Bier. Auf der Route 15 herrschte reger Rückreiseverkehr nach dem Wochenende -- wahrscheinlich war den Leuten klar, dachte Louis, daß jedes schöne Spätsommer-Wochenende jetzt das letzte sein konnte. Morgen begann seine Arbeit an der Krankenstation der Universität von Maine. Gestern und heute waren den ganzen Tag Studenten eingetroffen, hatten Wohnungen in Orono und Zimmer auf dem Campus gefüllt, Betten bezogen, Bekanntschaften aufgefrischt und zweifellos ihrem Unmut über ein weiteres Jahr mit Acht-Uhr-Vorlesungen und Essen aus Gemeinschaftsküchen Luft gemacht. Rachel war den ganzen Tag ihm gegenüber kühl gewesen -- eisig, konnte man sogar sagen --, und er wußte, wenn er heute abend über die Straße zurückkehrte, würde sie bereits im Bett liegen, höchstwahrscheinlich mit Gage neben sich, und der Bettkante an ihrer Seite so nahe, daß Gage Gefahr lief, hinauszufallen. Seine Hälfte des Bettes würde auf drei Viertel angewachsen sein und sich anfühlen wie eine weite, unfruchtbare Wüste.
    »Ich sagte, ich hoffe...«
    »Entschuldigung«, sagte Louis. »Ich war mit meinen Gedanken woanders. Ja, sie war einbißchen durcheinander. Wie kommen Sie darauf?«
    »Ich sagte es schon -- ich habe sie kommen und gehen sehen.«

Weitere Kostenlose Bücher