Friedhof der Kuscheltiere
darunter vorzustellen. Was meinst du damit, sie ist tot? Wovon redest du überhaupt? Und dann drängte ein Gedanke nach: Wer soll sie denn begraben? Onkel Carl war zwar Bestattungsunternehmer, aber er konnte sich nicht vorstellen, daß Ruthies Vater das fertigbrächte. In seiner Verwirrung und wachsenden Angst schien ihm diese Frage die wichtigste zu sein. Es war eine regelrechte Vexierfrage, genau wie die, wer dem Friseur die Haare schneidet.
Ich denke, Donny Donohue wird das tun, erwiderte seine Mutter. Ihre Augen waren rotgerändert, aber vor allem wirkte sie müde. Sie hatte ausgesehen, als wäre sie krank vor Müdigkeit. Er ist der beste Freund deines Onkels in diesem Geschäft. Oh, Louis... die süße kleine Ruthie ... ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß sie leiden mußte... bete mit mir, bitte, bete mit mir für Ruthie. Ich brauche deine Hilfe.
Sie waren in der Küche niedergekniet, er und seine Mutter, und sie beteten, und es war ihr Gebet, das ihn schließlich begreifen ließ: wenn seine Mutter für Ruthie Creeds Seele betete, dann bedeutete das, daß ihr Leib nicht mehr existierte. Vor seinen geschlossenen Augen erschien ein entsetzliches Bild: Ruthie, die zur Feier seines dreizehnten Geburtstags erschien, mit verrotteten Augäpfeln, die ihr auf den Wangen hingen, und blauem Schimmel im roten Haar, und dieses Bild löste nicht nur übelkeiterregendes Grauen aus, sondern beschwor auch eine für immer verlorene Liebe.
In der größten Qual seines Lebens schrie er: »Sie kann nicht tot sein! MAMA, SIE KANN NICHT TOT SEIN -- ICH LIEBE SIE DOCH!«
Und die Antwort seiner Mutter, mit einer Stimme, die tonlos war und dennoch voller Bilder: kahle Felder unter einem Novemberhimmel, abgefallene Rosenblätter, braun und an den Rändern hochgebogen, leere, von Algen überzogene Teiche, Fäulnis, Zerfall, Staub:
Sie ist tot, mein Junge. Es tut mir leid, aber sie ist tot. Ruthie ist von uns gegangen.
Louis schauderte und dachte: Tot ist tot -- mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Plötzlich fiel Louis ein, was er vergessen hatte, und weshalb er in dieser Nacht vor dem ersten Tag in seinem neuen Job immer noch wachlag und alten Kummer aufwärmte.
Er stand auf und ging zur Treppe; dann besann er sich und ging den Korridor entlang zu Ellies Zimmer. Sie schlief friedlich mit offenem Mund in ihrem blauen Baby-Doll-Pyjama, aus dem sie schon herausgewachsen war. Mein Gott, Ellie, dachte er, du schießt ins Kraut. Church lag zwischen ihren Knöcheln, gleichfalls tot für die Welt. Verzeih mir das Wortspiel.
Unten hing neben dem Telefon eine Tafel, an der verschiedene Nachrichten, Merkzettel und Rechnungen angeheftet waren. Am oberen Rand stand in Rachels sauberer Schrift DINGE, DIE SO LANGE WIE MÖGLICH AUFGESCHOBEN WERDEN SOLLTEN. Louis nahm das Telefonbuch, schlug nach und notierte auf einem leeren Merkzettel eine Nummer. Darunter schrieb er: Quentin L. Jolander, Dr. med. vet. -- Termin absprechen wegen Church -- wenn Jolander keine Tiere sterilisiert, benennt er Kollegen.
Er betrachtete die Notiz, fragte sich, ob es Zeit dafür war, und wußte, es war Zeit. Irgend etwas Konkretes war aus all den bitteren Gefühlen hervorgegangen; irgendwann zwischen heute morgen und heute abend war er -- ohne es überhaupt zu wissen -- zu dem Entschluß gelangt, daß Church die Straße nicht mehr überqueren sollte, wenn er etwas dagegen tun konnte.
Die alten Gefühle stiegen wieder auf, der Gedanke, daß die Kastration dem Tier etwas nehmen würde, daß sie ihn vorzeitig in einen fetten, alten Kater verwandeln würde, dem es genügte, auf der Heizung zu schlafen, bis jemand seinen Napf füllte. Er wollte nicht, daß Church so wurde. Er liebte ihn, wie er war, mager und draufgängerisch.
Draußen im Dunklen dröhnte auf der Route 15 ein großer Sattelschlepper vorüber. Das gab den Ausschlag. Er heftete den Zettel an und ging zu Bett.
11
Am nächsten Morgen beim Frühstück sah Ellie den neuen Zettel an der Tafel und fragte ihn, was er zu bedeuten hätte.
»Das bedeutet, daß Church eine kleine Operation über sich ergehen lassen muß«, sagte Louis. »Danach wird er wahrscheinlich die Nacht über beim Tierarzt bleiben. Und wenn er dann wiederkommt, wird er beim Haus bleiben und nicht mehr so viel herumstromern.«
»Und auch nicht mehr über die Straße gehen?« fragte Ellie.
Sie ist zwar erst fünf, dachte Louis, aber sie ist nicht auf den Kopf gefallen. »Und auch nicht mehr über die Straße gehen«, pflichtete er ihr
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