Friedhof der Kuscheltiere
dem heftigen Streit mit Rachel in ihm zurückgeblieben war, sich zu lösen begann.
»Und sie sagt: ›Halt! Halt! Seht euch das hier an!‹ Und alle hören auf und sehen in das Buch. Und verdammt noch mal, da hatte sie...«
»Jud«, sagte Norma drohend.
»Entschuldige, meine Liebe. Ich lasse mich hinreißen, wenn ich am Erzählen bin, das weißt du doch.«
»Ja, das weiß ich«, sagte sie.
»Und verflixt noch eins, da hatte sie doch das Buch bei BEGRÄBNISSE aufgeschlagen, und da war ein Bild von der Beerdigung der Königin Viktoria, und da standen Dutzende von Leuten zu beiden Seiten des Sarges, einige schwitzten und versuchten, das Monstrum anzuheben, und andere standen nur in ihren Bratenröcken und steifen Kragen herum, als warteten sie darauf, daß auf der Rennbahn jemand die Quoten bekanntgibt. Und Mandy sagte: ›Bei einem Staatsbegräbnis können es so viele sein, wie man will! Das steht in dem Buch!‹«
»Und das löste das Problem?« fragte Louis.
»Das tat es. Schließlich kamen ungefähr zwanzig Kinder zusammen, und verdammt noch eins, sie sahen tatsächlich aus wie auf dem Bild, das Mandy gefunden hatte, von den steifen Kragen und den Zylinderhüten vielleicht abgesehen. Und Mandy nahm die Sache in die Hand. Sie ließ sie antreten und gab jedem von ihnen eine Blume -- einen Löwenzahn oder einen Frauenschuh oder ein Gänseblümchen --, und dann zogen sie los. Weiß der Himmel! Ich hatte immer das Gefühl, dem Staat ist etwas verlorengegangen, als Mandy nicht in den Kongreß gewählt wurde.« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Aber wie dem auch sei, Billy war seine schlechten Träume über den Tierfriedhof los. Er betrauerte seinen Hund, und dann hörte er auf zu trauern und machte weiter. Und genau das tun wir wohl alle.«
Louis dachte wieder an Rachels hysterischen Ausbruch.
»Ihre Ellie kommt darüber hinweg«, sagte Norma und rückte sich im Sessel zurecht. »Sie müssen den Eindruck haben, wir redeten hier nur über den Tod, Louis. Jud und ich, wir sind zwar in die Jahre gekommen, aber ich hoffe, noch ist keiner von uns im Tattergreis-Stadium...«
»Natürlich nicht«, sagte Louis.
»Trotzdem ist es gut, wenn man eine Art lockere Bekanntschaft mit ihm unterhält. Heutzutage... ich weiß nicht recht -- niemand will darüber sprechen oder darüber nachdenken, scheint mir. Sie haben es aus dem Fernsehprogramm gestrichen, weil sie glauben, es könnte den Kindern irgendwie wehtun... sie seelisch verletzen... und die Leute wollen geschlossene Särge, damit sie die sterblichen Überreste nicht betrachten oder ihnen Lebewohl sagen müssen... es scheint fast so, als wollten die Leute es vergessen.«
»Und auf der anderen Seite zeigen sie im Kabelfernsehen all diese Filme, in denen Leute« -- Jud warf einen Blick auf Norma und räusperte sich --, »in denen Leute das tun, was sie normalerweise bei geschlossenen Vorhängen tun«, beendete er seinen Satz.
»Merkwürdig, wie sich die Dinge von einer Generation zur anderen ändern, nicht?«
»Ja«, sagte Louis. »Das ist es wohl«
»Wir gehören wohl einer anderen Zeit an«, sagte Jud, und es klang fast entschuldigend. »Uns stand der Tod näher. Wir haben die Grippe-Epidemie nach dem Ersten Weltkrieg miterlebt und Mütter, die in der Schwangerschaft starben, und Kinder, die an Fieber und Infektionen starben, die heute schon zu verschwinden scheinen, wenn ein Doktor nur seinen Zauberstab schwenkt. Als ich und Norma jung waren -- wenn man da Krebs bekam, da war es einfach ein Todesurteil. Bestrahlungen gab es noch nicht in den Zwanziger Jahren. Zwei Kriege, Morde, Selbstmorde...«
Er verstummte für einen Augenblick.
»Wir kannten ihn als Freund und als Feind«, sagte er schließlich. »Mein Bruder Pete starb an einem geplatzten Blinddarm, 1912, als Taft Präsident war. Pete war gerade vierzehn, und er konnte einen Baseball weiter schlagen als jeder andere Junge in der Stadt. Damals brauchte man noch keine Vorlesungen im College zu belegen, um den Tod kennenzulernen, den Sensenmann oder wie immer man ihn nennen will. Der kam einem damals ins Haus und sagte hallo, und manchmal aß er mit einem zu Abend, und manchmal konnte man spüren, wie er einen in den Arsch biß.«
Diesmal protestierte Norma nicht; sie nickte nur stumm.
Louis stand auf und streckte sich. »Ich muß gehen«, sagte er. »Morgen ist ein großer Tag.«
»Ach ja, morgen beginnt sich für Sie das Karussell zu drehen«, sagte Jud und stand gleichfalls auf. Jud sah, daß Norma
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