Friedhof der Kuscheltiere
Gift losgeworden. Vielleicht war »Beweise« das Wort, nach dem er in Wirklichkeit suchte, aber in seinem Denken war es Gift.
Vielleicht ist es genau das, was Menschen mit dem Unerklärlichen tun, dachte er. Genau das tun sie mit dem Irrationalen, das sich nicht in das normale Verhältnis von Ursache und Wirkung aufspalten läßt, das die westliche Welt regiert. Vielleicht wurde der Verstand auf diese Weise auch mit der fliegenden Untertasse fertig, die man eines Morgens stumm über der Wiese hinter dem Haus schweben sah; mit dem Froschregen; mit der Hand, die mitten in der Nacht unter dem Bett hervorkam und nach dem nackten Fuß griff. Man hatte einen Lach- oder Weinkrampf -- und da es sich um Dinge handelte, die unzerstörbar waren und sich aufspalten ließen, schied man das Entsetzen aus wie einen Nierenstein.
Gage saß auf seinem Stuhl, aß Cocoa Bears und dekorierte den Tisch damit. Er dekorierte die Plastikmatte unter seinem hohen Kinderstuhl mit ihnen und benutzte sie offensichtlich auch zum Haarewaschen.
Rachel kam mit seinen Eiern und einer Tasse Kaffee aus der Küche. »Was war das für ein toller Witz, Lou? Du hast da oben gelacht wie ein Verrückter. Ich hätte es fast mit der Angst zu tun bekommen.«
Louis öffnete den Mund, ohne zu wissen, was er sagen sollte, und heraus kam ein Witz, den er eine Woche zuvor in einem Laden ein Stück die Straße hinunter gehört hatte -- etwas über einen jüdischen Schneider, der einen Papagei gekauft hatte, der nur sagen konnte: »Ariel Sharon onaniert.«
Als er mit seiner Geschichte fertig war, lachte Rachel -- und Gage lachte auch.
Wunderbar. Unser Held hat das Beweismaterial -- die schmutzigen Laken und das im Gelächter im Badezimmer -- aus der Welt geschafft. Unser Held wird jetzt die Zeitung lesen -- oder zumindest hineinschauen --, und der Morgen erhält das Siegel der Normalität.
Mit diesen Gedanken schlug Louis die Zeitung auf.
Das ist es also, was man tut, dachte er mit grenzenloser Erleichterung. Man scheidet es aus wie einen Nierenstein, und damit hat es sich -- es sei denn, man sitzt eines Nachts mit Freunden am Lagerfeuer, wenn der Wind heult und das Gespräch sich dem Unerklärlichen zuwendet. Denn in Nächten am Lagerfeuer gerät man ins Schwatzen, wenn der Wind heult.
Er aß seine Eier. Er küßte Rachel und Gage. Auf den viereckigen, weiß gestrichenen Wäschebehälter am Fuß des Schachtes warf er beim Hinausgehen einen flüchtigen Blick. Alles war in bester Ordnung. Es war wieder ein herrlicher Morgen. Der Spätsommer tat, als ginge er nie zu Ende, und alles war in bester Ordnung. Als er mit dem Wagen rückwärts aus der Garage setzte, schaute er noch kurz zum Pfad hinüber, aber auch der war in Ordnung. Mit keiner Wimper gezuckt. Man schied es aus wie einen Nierenstein.
Alles war in bester Ordnung, bis er zehn Meilen hinter sich gebracht hatte. Dann überfiel ihn ein so heftiges Zittern, daß er von der Route 2 auf den jetzt am Morgen leeren Parkplatz von Sing's abbiegen mußte, dem chinesischen Restaurant nicht weit vom Eastern Maine Medical Center, wo man Pascows Leichnam hingebracht hatte. Zum EMMC natürlich, nicht zu Sing's. Vic Pascow würde nie wieder eine Portion Moo-moo-gai-pan essen, ha-ha-ha.
Das Zittern verzerrte seinen Körper, riß an ihm, tat mit ihm, was es wollte. Louis verspürte Hilflosigkeit und Entsetzen -- nicht vor etwas Übernatürlichem, nicht in diesem hellen Sonnenschein, sondern einfach angesichts der Möglichkeit, daß er den Verstand verlieren könnte. Ihm war, als wirbelte ein langer, unsichtbarer Draht in seinem Kopf herum.
»Aufhören«, sagte Louis. »Bitte aufhören.«
Er tastete nach dem Radio und erwischte Joan Baez, die von Diamanten und Rost sang. Ihre süße, kühle Stimme beruhigte ihn, und als sie aufhörte, spürte Louis, daß er weiterfahren konnte.
Als er in der Krankenstation eintraf, nickte er Joan Charlton kurz zu und verschwand dann im Badezimmer. Er hatte das Gefühl, erbärmlich auszusehen. Aber das war nicht der Fall. Leicht dunkle Ringe unter den Augen, die nicht einmal Rachel aufgefallen waren. Er spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht, kämmte sich und ging dann in sein Büro.
Steve Masterton und Surrendra Hardu, der indische Arzt, waren da, tranken Kaffee und beschäftigten sich noch immer mit den Karteikarten der Problemfälle.
»Morgen, Lou«, sagte Steve.
»Guten Morgen.«
»Hoffentlich kein Morgen wie gestern«, sagte Hardu.
»Ach ja -- Sie haben die
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