Friedhof der Kuscheltiere
den Papierkorb. Es war ein leichter Lunch gewesen, aber er hatte mit gutem Appetit gegessen. An seinem Befinden gab es wirklich kaum etwas auszusetzen. Jedenfalls jetzt nicht. Das Zittern war nicht wieder aufgetreten, und selbst das Grauen des Morgens kam ihm jetzt vor wie eine häßliche, sinnlose Überraschung, einem Traum ähnlich und völlig bedeutungslos.
Er trommelte mit den Fingern auf seine Schreibtischunterlage, zuckte die Achseln und griff wieder zum Telefon. Er wählte die Nummer des Eastern Maine Medical Center und verlangte die Pathologie.
Nachdem er mit der Sekretärin verbunden worden war, erklärte er, wer er war, und sagte dann: »Sie haben einen unserer Studenten dort, einen Victor Pascow...«
»Nicht mehr«, sagte die Stimme am anderen Ende. »Er ist weg.«
Louis' Kehle schnürte sich zusammen. Schließlich stieß er heraus: »Was?«
»Die Leiche wurde letzte Nacht an seine Eltern abgeschickt. Ein Mann vom Begräbnisinstitut Brookings-Smith erschien und veranlaßte alles Erforderliche. Er reiste mit Delta« -- Papiere raschelten --, »Delta Flug 109. Was dachten Sie denn, wohin er gegangen ist? Zu einem Tanzturnier etwa?«
»Nein«, sagte Louis. »Natürlich nicht. Es ist nur...« Es ist nur was? Weshalb zum Teufel fragte er überhaupt? Es gab keine vernünftige Art, damit fertig zu werden. Man mußte es einfach dabei belassen, es abhaken und vergessen. Alles andere brachte nur einen Haufen sinnlosen Ärger. »Es ist nur -- es scheint sehr schnell gegangen zu sein«, beendete er lahm den Satz.
»Nun, die Autopsie wurde gestern nachmittag« -- wieder das leise Papierrascheln -- »gegen drei Uhr zwanzig von Dr. Rynzwyck vorgenommen. Inzwischen hatte sein Vater schon alles in die Wege geleitet. Ich nehme an, daß der Leichnam heute morgen gegen zwei Uhr in Newark eingetroffen ist.«
»Ach, so. Nun, wenn das so ist...«
»Es sei denn, bei der Spedition hat jemand Mist gebaut und ihn irgendwo anders hin verfrachtet«, sagte die Pathologiesekretärin munter. »Das ist schon vorgekommen, müssen Sie wissen, allerdings noch nie bei Delta. Die Leute von Delta sind in Ordnung. Aber wir hatten einen Burschen, der auf einer Angeltour oben in Aroostook County starb, in einem von diesen kleinen Nestern, die kaum auf der Landkarte zu finden sind. Der blöde Kerl erstickte am Verschluß einer Bierdose. Seine Kumpel brauchten zwei Tage, um ihn aus der Wildnis herauszuschleppen, und Sie wissen ja, daß man dann nie sicher sein kann, ob das Konservierungsmittel vorhält. Aber sie spritzten es ihm ein, hofften das Beste und schickten ihn im Frachtraum irgendeines Flugzeugs heim nach Grand Falls, Minnesota. Aber irgendjemand hatte Mist gebaut, und er wurde zuerst nach Miami gebracht, dann nach Des Moines, dann nach Fargo, North Dakota. Endlich schaltete jemand, aber inzwischen waren weitere drei Tage vergangen. Jetzt wirkte nichts mehr. Sie hätten ihm ebenso gut Limonade einspritzen können. Er war völlig schwarz und roch wie verdorbener Schweinebraten. Sechs Leuten in der Gepäckabfertigung wurde schlecht.«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung lachte vergnügt.
Louis schloß die Augen und sagte: »Haben Sie vielen Dank.«
»Ich kann Ihnen Dr. Rynzwycks Privatnummer geben, wenn Sie wollen, Doktor, aber gewöhnlich spielt er mittags in Orono Golf.«
»Nicht nötig«, sagte Louis.
Er legte den Hörer auf. Damit dürfte der Fall erledigt sein, dachte er. Als du diesen verrückten Traum hattest -- oder was immer es gewesen sein mag --, lag Pascows Leichnam höchstwahrscheinlich schon in einem Beerdigungsinstitut in Bergenfield. Damit ist die Sache ausgestanden, und Schluß damit.
Als er an jenem Nachmittag nach Hause fuhr, fiel ihm endlich eine simple Erklärung für den Schmutz an seinen Füßen ein, die ihn grenzenlos erleichterte.
Er hatte einen einmaligen Anfall von Schlafwandeln gehabt, ausgelöst durch das unerwartete und zutiefst aufwühlende Ereignis, an seinem ersten wirklichen Arbeitstag einen tödlich verletzten, sterbenden Studenten in seiner Krankenstation zu haben.
Das erklärte alles. Der Traum war ihm so überaus wirklich vorgekommen, weil große Teile davon wirklich waren -- der Teppich unter seinen Füßen, der Tau und natürlich der tote Ast, der ihm den Arm zerkratzt hatte. Es erklärte auch, warum Pascow durch die Tür hatte hindurchgehen können, und er nicht.
Ein Bild stieg vor seinem geistigen Auge auf: Rachel, die letzte Nacht die Treppe herunterkam und sah, wie er
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