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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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»Hatte ich vergessen. Ich glaube, ich bin seit zwölf Jahren nicht mehr hier oben gewesen. Dachte nicht, daß ich jemals wieder einen Grund haben würde, herzukommen. So -- und nun herauf mit Ihnen.«
    Er ergriff Louis' Arm und half ihm die letzte Stufe hinauf.
    »Da wären wir.«
    Louis sah sich um. Er konnte recht gut sehen; das schwache Sternenlicht war ausreichend. Sie standen auf einem mit Steinen und Geröll übersäten Felsplateau, das aus dem vor ihnen liegenden dünnen Erdreich herausragte wie eine dunkle Zunge. Wenn er sich umblickte, sah er die Wipfel der Tannen, die sie passiert hatten, um die Stufen zu erreichen. Allem Anschein nach standen sie auf der Oberfläche einer merkwürdigen, abgeflachten Mesa, einer geologischen Anomalität, die in Arizona oder Neumexiko eher am Platze gewesen wäre. Weil auf dem grasbewachsenen Plateau der Mesa -- oder des Hügels oder des abgestumpften Berges oder was immer es sein mochte -- keine Bäume wuchsen, hatte die Sonne hier den Schnee schmelzen lassen. Als er sich wieder Jud zuwandte, sah er, wie sich trockenes Gras unter dem stetigen Wind beugte, der ihm kalt ins Gesicht blies, und er sah auch, daß es ein Hügel war, keine isolierte Mesa. Vor ihnen stieg das Gelände wieder zu einem baumbestandenen Hang an. Aber die Fläche selbst war so augenfällig und so seltsam in der Landschaft Neuenglands mit ihren niedrigen und irgendwie langweiligen Hügeln.
    Indianer, die Werkzeuge gebrauchten, schoß es ihm plötzlich durch den Kopf.
    »Kommen Sie«, sagte Jud und führte ihn ungefähr fünfundzwanzig Schritte zu den Bäumen hinüber. Der Wind wehte stark hier oben, aber er fühlte sich sauber an. Louis sah eine Reihe von Gebilden im Schatten der Bäume -- der ältesten, höchsten Tannen, die er je gesehen hatte. Der Eindruck, der von diesem hochgelegenen, einsamen Platz ausging, war Leere -- aber eine Leere, die vibrierte.
    Die dunklen Gebilde waren Steinhaufen.
    »Die Micmac haben die Kuppe des Hügels abgetragen«, sagte Jud. »Wie sie das gemacht haben, weiß niemand -- ebenso wenig, wie man weiß, wie die Maya ihre Pyramiden bauten. Und wie die Maya haben auch die Micmac selbst es vergessen.«
    »Warum? Warum haben sie das getan?«
    »Dies war ihr Begräbnisplatz«, sagte Jud. »Ich habe Sie hergebracht, damit Sie Ellies Kater hier begraben können. Die Micmac machten da keine Unterschiede. Sie begruben die Tiere gleich neben ihren Besitzern.«
    Das erinnerte Louis an die Ägypter, die noch einen Schritt weiter gegangen waren: sie hatten die Tiere der Pharaonen geschlachtet, damit ihre Seelen die ihrer Herren in das Leben, das nach dem Tod auf sie warten mochte, begleiten konnten. Ihm fiel ein, daß er einmal gelesen hatte, man habe nach dem Hinscheiden der Tochter eines Pharao mehr als zehntausend Haustiere geschlachtet -- darunter sechshundert Schweine und zweitausend Pfauen. Die Schweine waren mit Rosenöl bespritzt worden, dem Lieblingsparfum der toten Prinzessin, bevor man ihnen die Hälse durchschnitt.
    Und außerdem bauten sie Pyramiden. Niemand weiß genau, wozu die Maya ihre Pyramiden bauten -- zur Orientierung und Zeitbestimmung wie Stonehenge, sagen manche Leute --, aber wir wissen verdammt gut, was die ägyptischen Pyramiden waren und noch sind: große Monumente des Todes. Die größten Grabsteine der Welt. Hier liegt Ramses II., er war gehorsam, dachte Louis und kicherte unwillkürlich laut.
    Jud sah ihn ohne jede Überraschung an.
    »Begraben Sie Ihr Tier«, sagte er. »Ich rauche inzwischen eine Zigarette. Ich würde Ihnen gern helfen, aber Sie müssen es selber tun. Jeder begräbt seine eigenen Toten. So wurde es immer gehalten.«
    »Jud, was soll das alles? Warum haben Sie mich hierhergebracht?«
    »Weil Sie Norma das Leben gerettet haben«, sagte Jud, und obwohl es aufrichtig klang -- und Louis überzeugt war, daß Jud glaubte, aufrichtig zu sein --, hatte er doch plötzlich das überwältigende Gefühl, daß der Mann log... oder daß er angelogen worden war und die Lüge nun weitergab. Ihm fiel der Ausdruck wieder ein, den er in Juds Augen gesehen hatte oder gesehen zu haben glaubte.
    Doch hier oben schien das alles keine Rolle zu spielen. Der Wind hatte mehr Gewicht, nach wie vor ein stetiger Fluß, der ihn umströmte.
    Jud setzte sich, den Rücken an einen der Bäume gelehnt, schirmte ein Streichholz mit den Händen ab und zündete sich eine Chesterfield an. »Wollen Sie ein bißchen ausruhen, bevor Sie anfangen?«
    »Nein, nicht nötig«,

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