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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Steve Masterton anrief und berichtete, was vorgefallen war, meinte Steve, so würde er auch gern sterben.
    »Manchmal trödelt Gott herum«, sagte Steve, »und manchmal zeigt er nur auf einen und sagt, man soll seine Klamotten an den Nagel hängen.«
    Rachel wollte nicht darüber sprechen und ließ auch nicht zu, daß Louis mit ihr darüber sprach.
    Ellie war nicht so sehr verstört als überrascht und neugierig -- sie reagierte so, wie eine durch und durch gesunde Fünfjährige nach Louis' Ansicht reagieren sollte. Sie wollte wissen, ob Mrs. Crandall mit offenen oder geschlossenen Augen gestorben war. Louis sagte, er wüßte es nicht.
    Jud war so gefaßt, wie man es in Anbetracht der Tatsache, daß seine Frau fast sechzig Jahre Tisch und Bett mit ihm geteilt hatte, erwarten konnte. Als Louis kam, saß der alte Mann -- und an diesem Tag sah er wirklich aus wie ein alter Mann von dreiundachtzig Jahren -- allein am Küchentisch, rauchte eine Chesterfield, trank Bier und starrte mit leerem Blick ins Wohnzimmer.
    Er sah auf, als Louis hereinkam, und sagte: »Ja, Louis, nun ist sie tot.« Das kam so klar und sachlich, daß Louis den Eindruck hatte, es könne noch nicht alle Schaltstellen passiert haben -- könne ihn noch nicht dort getroffen haben, wo sein Leben saß. Dann begann Juds Mund zu arbeiten, und er bedeckte die Augen mit einem Arm. Louis trat zu ihm und legte einen Arm um ihn. Jud gab nach und weinte. Es hatte wirklich alle Schaltstellen passiert. Jud hatte es begriffen. Seine Frau war tot.
    »Das ist gut«, sagte Louis. »Das ist gut, Jud, sie hätte sich gewünscht, daß Sie ein bißchen weinen. Wäre wahrscheinlich sauer gewesen, wenn Sie es nicht getan hätten.« Er weinte selbst ein bißchen. Jud umarmte ihn fest, und Louis erwiderte die Umarmung.
    Jud weinte ungefähr zehn Minuten, dann flaute der Sturm ab. Louis achtete sehr genau auf das, was Jud danach sagte -- als Arzt ebenso wie als Freund. Er achtete auf Abschweifungen in Juds Erzählungen; er achtete darauf, ob Juds Zeitvorstellungen klar waren (auf die Ortsvorstellungen brauchte er nicht zu achten; das bewies nichts, denn Juds Ort war immer Ludlow in Maine gewesen); er achtete vor allem darauf, ob er von Norma im Präsens sprach. Er fand wenig oder gar keine Anzeichen dafür, daß Jud den Halt verlor. Louis wußte, daß es bei alten Ehepaaren nicht selten vorkam, daß sie fast Hand in Hand abtraten, nur einen Monat, eine Woche oder gar nur einen Tag voneinander getrennt. Das mochte am Schock liegen oder vielleicht auch an einem tiefen inneren Drang, den verstorbenen Partner einzuholen (das war ein Gedanke, der ihm vor der Sache mit Church nicht gekommen wäre; er hatte feststellen müssen, daß viele seiner Ansichten über das Spirituelle und Übernatürliche eine stille, aber tiefgreifende Veränderung durchgemacht hatten). Er kam zu dem Schluß, daß Jud zwar gramgebeugt, aber dennoch compos mentis war. Er bemerkte an Jud nichts von der durchscheinenden Zerbrechlichkeit, die er am Silvesterabend an Norma wahrgenommen hatte, als sie alle vier im Wohnzimmer der Creeds gesessen und Eierpunsch getrunken hatten.
    Jud brachte ihm ein Bier aus dem Kühlschrank; sein Gesicht war noch rot und fleckig vom Weinen.
    »Es ist zwar noch ein bißchen früh am Tage«, sagte er, »aber irgendwo auf der Welt ist die Sonne schon hinter der Rahnock verschwunden, und unter diesen Umständen...«
    »Schon gut«, sagte Louis und öffnete sein Bier. Dann sah er Jud an. »Wollen wir auf sie trinken?«
    »Ja, das wollen wir«, sagte Jud. »Sie hätten sie sehen sollen, als sie sechzehn war, Louis, wenn sie mit offener Jacke aus der Kirche kam -- die Augen wären Ihnen übergegangen. Sie hätte selbst den Teufel dazu gebracht, dem Trinken abzuschwören. Gott sei Dank hat sie das von mir nie verlangt.«
    Louis nickte und hob sein Bier. »Auf Norma«, sagte er.
    Jud ließ seine Flasche an die von Louis stoßen. Er weinte wieder, aber gleichzeitig lächelte er. Dann nickte er gleichfalls. »Möge sie Frieden finden, und möge sie dort, wo immer sie sein mag, nicht von Arthritis geplagt werden.«
    »Amen«, sagte Louis, und dann tranken sie.
     
     
    Es war das einzige Mal, daß Louis Jud mit mehr als nur einem leichten Schwips erlebte; dennoch behielt er einen klaren Kopf. Er schwelgte in Erinnerungen und erzählte ununterbrochen Episoden und Anekdoten, farbig und anschaulich, manchmal spannend. Doch zwischen den Geschichten aus der Vergangenheit handhabte Jud die Gegenwart

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