Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
HERREN! M. BECHE WIRD EURE KINDER ZU WAISEN MACHEN! «
Inschriften zu erspähen, sie vor den Behörden zu erspähen, die inzwischen sehr viel eifriger darauf bedacht sind, solche Meinungsäußerungen zu entfernen, wird zu einer Art Volkssport. Die Leute teilen einander neue Funde mit, beiläufig und gutgelaunt, aber auch mit einem gewissen fragenden Ernst. Wenn es ihn nun wirklich gibt, diesen Bêche? Wenn er eines Tages tut, was er verspricht?
Jean-Baptiste, von Armand (der weiterhin jede Beteiligung bestreitet), Dr. Guillotin oder Héloïse (die ihre alte, freie Gewohnheit, die Straßen der Stadt zu durchstreifen, nicht ganz aufgegeben hat), einmal auch von Marie über das Vorhandensein dieser Schmierereien unterrichtet, nickt und zuckt die Achseln. Was bedeuten sie ihm schon? Und doch kann er ein heimliches Interesse an diesem Bêche nicht leugnen, ergibt sich zuweilen sogar der Phantasie, es gäbe in irgendeinem stinkenden bâtiment im Faubourg Saint-Antoine tatsächlich einen Mann mit Gedanken wie Messerklingen, einen philosophischen Attentäter, den Mörder aus dem Volk. Würde er sich einem solchen Mann entgegenstellen? Ihn verraten? Oder würde er ihm folgen? So unversöhnlich werden wie er. Grausam und unversöhnlich … Dann erwacht er aus der Phantasie und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Steinen, Schweiß und dem lautstarken Erteilen von Befehlen in der labyrinthischen Luft. Was die Welt tut, wozu sie sich anschickt, darum wird er sich später kümmern. Auf Les Innocents muss die Geschichte ein Weilchen warten.
Ein guter Aussichtspunkt, von dem aus sich die Fortschritte bei der Kirche überschauen lassen, ist sein früheres Zimmer hinten im Haus der Monnards. Wenn er kann, geht er an den meisten Tagen dorthin, stellt sich zwischen Bett und Tisch und schaut zum Fenster hinaus. Die Luft im Zimmer ist stickig. Weiß der Himmel, wie es in Maries Zimmer darüber ist. Auf dem Bett liegen schlaff wie aus dem Fluss gefischtes Unkraut Ziguettes Kleider. Kleine goldene Motten, die Sorte, die, zwischen Daumen und Zeigefinger zerbröselt, einen Goldfleck auf der Haut hinterlässt, hüpfen und flattern zwischen den Stoffen umher. Ragoût, der sich vielleicht der alten Vertrautheit zwischen ihnen erinnert, jener Winternächte, in denen er zu Füßen des Mannes lag, gesellt sich dem Ingenieur manchmal zu und macht es sich auf den Kleidern bequem, hat die Angewohnheit, sich halb in sie hineinzuwühlen – eine Katze, die zum Mädchen, ein Mädchen, das zur Katze wird.
Eines Sonntagabends Ende Juli sind die beiden dort im Zimmer; Ragoût nuckelt an einer Musselinrüsche, Jean-Baptiste lehnt schläfrig am Tisch und schaut zur Kirche hinaus. Sie macht einen zufriedenstellend angegriffenen Eindruck. Ein Viertel des Daches muss noch abgetragen werden – nächste Woche werden sie ein Gerüst an der Rue aux Fers brauchen –, und sie haben immer noch keinen Graben ausgehoben, der so tief ist, dass sie die Fundamente untersuchen können, aber die Fortschritte sind akzeptabel, mehr als akzeptabel, so dass selbst Monsieur Lafosse bei seinem letzten Besuch seine Anerkennung nicht gänzlich verhehlen konnte und eine volle Minute am Wohnzimmerfenster stand, ehe er sich umdrehte und (mit einer von Argwohn geölten Stimme) sagte, es werde dem Minister gewiss nicht missfallen, zu erfahren, dass es mit seinem Projekt endlich so vorwärtsgehe, wie es sich gehöre.
Wenn er nur die Bergleute noch ein bisschen länger bei der Stange halten kann! Die Bergleute, Sagnac. Und sich selbst, natürlich, besonders sich selbst. Wenigstens ist es ihm gelungen, eine Unterkunft für Jeanne und ihren Großvater zu finden. Vier anständige, helle Zimmer im Erdgeschoss eines Hauses in der Rue Aubri Boucher, gegenüber der Kirche Saint-Josse, ein paar Minuten zu Fuß vom Markt entfernt. Praktisch für eine werdende Mutter – praktisch für eine Mutter –, denn dass Jeanne schwanger ist, steht mittlerweile außer Frage. Um die Taille ist sie sichtlich dicker geworden; ihre Brüste schwellen. Sie sieht jünger aus. Jung, scheu, verträumt. Nicht unglücklich. Sie lächelt sie an, spricht wenig, wirkt zugleich zugrunde gerichtet und gerettet, wie dereinst vielleicht Christi Mutter. Und immer bringt es jener gestiefelte, bärtige Klotz von einem Kerl, Jan Block, fertig, in ihrer Nähe zu sein, irgendwie am Ende ihres Schattens zu stehen …
Sein Gesicht verzieht sich zu einem Gähnen. Mit den Handballen reibt er sich über die Augen, spürt den
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