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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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worden, als die Kirche schon geschlossen war.«
    »Kann man denn eine Kirche schließen wie eine Bäckerei?«
    »Wenn eine entsprechende Verfügung ergeht, wohl schon, nehme ich an.«
    »So, Sie nehmen an? Tja, Sie haben zweifellos recht. Mein Vorgänger hat sich zu Tode getrunken. Ich würde meinen, er fand die Situation … beunruhigend?«
    »Sie nicht?«
    »Ämter sind, wie Sie vielleicht selbst wissen, niemals leicht zu bekommen.«
    »Aber es gibt niemanden, für den man spielen könnte.«
    Armand zuckt die Schultern, greift nach seinem zweiten Schnaps. »Es gibt mich, Père Colbert, den lieben Gott. Und jetzt auch noch Sie. Eigentlich ein recht gutes Publikum.«
    Jean-Baptiste grinst. Obwohl ihm zu schaffen macht, dass er in einem Kaffeehaus sitzt und Schnaps trinkt, anstatt den Friedhof zu vermessen, zu schaffen macht, dass er in der Kirche kaum atmen konnte, bedauert er es nicht, auf diesen Musiker mit den flammendroten Haaren gestoßen zu sein. Vielleicht erfährt er ja etwas Zweckdienliches. Die Arbeit, die man ihm anvertraut hat, wird nicht einfach nur auf das Ausgraben und Wegschaffen von Gebeinen hinauslaufen. Soviel ist ihm klar. Ebensosehr wie mit den Toten wird er sich mit den Lebenden auseinandersetzen müssen.
    »Wenn ich es mir nicht mit dem Bischof verderbe«, sagt Armand, »bekomme ich eines Tages etwas Besseres. Saint-Eustache vielleicht.«
    »Auch dort«, sagt Jean-Baptiste, »werden Sie ihn noch riechen können.«
    »Den Friedhof? Es ist, wie ich gesagt habe. Man gewöhnt sich daran. Genauer gesagt, man gewöhnt sich eigentlich nie daran, aber es wird erträglich. Man passt sich an. Sagen Sie, was ist Ihnen an den Monnards aufgefallen?«
    »Dass sie … achtbare Menschen sind?«
    »O ja. Sehr achtbar. Und was noch?«
    »Dass sie gern reden?«
    »Die einzige Möglichkeit, sie zum Schweigen zu bringen, bestünde darin, Worte mit einer Steuer zu belegen. Was unsere Herren ja vielleicht schon ins Auge fassen. Nun aber. Seien Sie ganz offen. Was noch?«
    »Ihr Atem?«
    »Genau. Und vielleicht ist Ihnen auch aufgefallen, dass meiner nicht sehr viel lieblicher ist. Nein, Sie brauchen nicht höflich zu sein. Jedem, der einige Zeit in dieser Umgebung verbringt, ergeht es genauso.«
    »Ist es das, worauf ich mich gefasst machen muss?«
    »Haben Sie denn vor, so lange zu bleiben?«
    »Ich weiß nicht, wie lange ich bleiben werde.«
    »Sie möchten nicht von Ihrer Arbeit sprechen.«
    »Es würde Sie bestimmt nicht interessieren.«
    »So? Ich vermute, es würde mich sehr interessieren, obwohl ich Sie jetzt nicht drängen will. Wir werden von etwas anderem reden. Zum Beispiel von Ziguette Monnard. Haben Sie sie einmal genau angesehen?«
    »Ich habe ihr bei Tisch gegenübergesessen.«
    »Waren Sie nicht beeindruckt? Sie ist eines der hübschesten Mädchen des Viertels.«
    »Ich gebe zu, sie ist hübsch.«
    »Ach, Sie geben es zu? Wie großzügig! Haben Sie vielleicht jemanden zu Hause? Wo immer Ihr Zuhause liegt.«
    »In Bellême. In der Normandie.«
    »In Bellême also. Nein, wie ich sehe, haben Sie niemanden. Tja, nehmen Sie sich in acht, mein Lieber. Wenn Sie bleiben, wird man mit Sicherheit versuchen, Sie mit ihr zu verheiraten.«
    »Mit Ziguette?«
    »Warum nicht? Ein junger Ingenieur. Ein Vertrauter des Ministers.«
    »Ich habe nie behauptet, sein Vertrauter zu sein.«
    Am Nebentisch blickt ein Mann mit einem Gewirk silbriger Narben um den Hals vom Puffspiel-Brett auf, sieht die beiden jungen Männer an und senkt den Blick langsam wieder auf das Spiel.
    »Und was ist mit Ihnen?« fragt Jean-Baptiste. »Haben sie es bei Ihnen auch probiert?«
    »Musiker sind keine so gute Partie. In den Augen von Leuten wie den Monnards ist ein Musiker nur wenig besser als ein Schauspieler.«
    »Ziguettes Vater ist Messerschmied. Können diese Leute es sich denn leisten, auf Musiker herabzusehen?«
    »Auf Leute herabzusehen kostet sehr wenig. Und ja, sie haben mich ins Auge gefasst.«
    »Hat sie Ihnen denn gefallen?«
    »So wie einem die Gesellschaft jeder attraktiven Frau gefällt. Aber bei Ziguette muss man vorsichtig sein.«
    »Wie das?«
    Armand stippt einen Klacks Süßrahm aus der Schale, lutscht sich den Finger, wischt sich die Lippen ab. »Ziguette ist in diesem Haus aufgewachsen. Sie wohnt schon ihr ganzes Leben dort. In dieser Luft.«
    »Und deswegen muss ich vor ihr auf der Hut sein?«
    »Ziguette zu heiraten«, sagt Armand, »wäre so, als heiratete man den Friedhof. Das ist mehr als einfach nur eine Frage

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