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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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Saint-Eustache?«
    »Ich kann hinter meine Ambitionen blicken. Ich werde nicht von ihnen eingeschränkt. Das ist der Unterschied.«
    Gereizt wenden sie sich voneinander ab. Die Arme fest vor der Brust verschränkt, späht Jean-Baptiste an den geschwärzten Steinen des Bogens vorbei in die Richtung, aus der Lecoeur durch das Gras auf sie zukommt. Ein aufgeregter, steifbeiniger Gang mit vorgeneigtem Oberkörper, das Gesicht vom Hut beschattet …
    »Eine Meuterei«, sagt er, während er durch den Torbogen hereinhüpft, ohne sich mit Höflichkeiten aufzuhalten. »Die Männer haben gemeutert!« Er sieht sie an, scheint höchst zufrieden damit zu sein, ihre verblüfften Gesichter zu sehen, und sagt dann: »Es ist vielleicht nicht richtig, von Meuterei zu sprechen, jedenfalls noch nicht. Aber sie sind unzufrieden. Äußerst unzufrieden. Sie wollen nicht arbeiten.«
    »Aus welchem Grund?«
    »Sie wollen Pfeifen.«
    »Pfeifen?«
    »Tabakspfeifen. Ohne sie wollen sie nicht arbeiten. Sie sind zu der Überzeugung gekommen, dass Tabak ein Mittel gegen Ansteckung ist.«
    »Ansteckung wodurch?«
    »Durch die Gräber natürlich.«
    »Sie wollen rauchen?«
    »Sie bestehen darauf. Alle Mann. Und du brauchst dir nicht die Mühe zu machen, nach dem Ursprung einer solchen Idee zu suchen. Sie wachen eines Morgens auf und haben sie im Kopf. Solche Vorstellungen sind vielleicht sogar autogen.«
    Armand schmunzelt. »Das ist eher gut als schlecht. Eine Forderung, die sich sehr billig erfüllen lässt. Und sie werden es Ihnen danken, wenn Sie es tun. Sie werden getröstet sein.«
    Im Reden sind die drei aus dem Beinhaus herausgetreten. Die Bergleute haben sich bei dem großen Feuer zusammengeschart und sehen ihnen entgegen.
    »In der Rue aux Ours gibt es einen Laden«, fährt Armand fort, »gegenüber dem Postunternehmen. Er hat mehrere hundert Pfeifen auf Lager. Genügend Tabak, um die Marine zu versorgen. Ich empfehle ihn.«
    »Dann«, sagt Jean-Baptiste, »wären Sie vielleicht so freundlich, das Notwendige zu holen?«
    »Soll ich ein Konto einrichten?« fragt Armand, der ohne erkennbare Anstrengung in seine Rolle als Scaramouche, Harlekin, Zettel zurückfällt. »Vorzugspreise? Monatliche Rechnungsstellung?«
    »Und wenn Monsieur Saint-Méard keinen Einwand hat«, sagt Lecoeur rasch, »könnte ich ihn begleiten.«
    Armand macht eine einladende Verbeugung. Zur Erwiderung verbeugt sich Lecoeur seinerseits.
    »Wie geht es dem Kranken heute morgen?« fragt Jean-Baptiste.
    »Block? Ah, um den kümmert sich ein barmherziger Engel«, sagt Lecoeur.
    »Er ist tot?« fragt Jean-Baptiste, der mit den Gedanken immer noch bei den Männern, bei ihren abstrusen Gedanken ist.
    »Ich meine Jeanne«, sagt Lecoeur. »Sie pflegt ihn. Um Block brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Block wird uns alle überleben.«
     
    Nach den Glocken von Saint-Eustache und den ruhelosen Zeigern von Jean-Baptistes eigener Uhr zu schließen, vergehen fast zwei Stunden, bevor Armand und Lecoeur zum Friedhof zurückkehren. Er hat sich schon selbst dafür verflucht, dass er so dumm war, sie miteinander gehen zu lassen, dabei weiß er gar nicht recht, ob er sie hätte hindern können, ob er die Autorität, das Recht, die notwendige Charakterstärke dazu hat.
    Dass sie beide betrunken sind, ist schon auf viele Meter Entfernung zu erkennen, aber sie scheinen gehen zu können, ohne zu torkeln, und das Paket in Lecoeurs Armen deutet darauf hin, dass sie ihren ursprünglichen Auftrag nicht vergessen haben.
    »Hast du die Schrift auf der Mauer gesehen?« zischt Lecoeur, dessen Mund der Wange des Ingenieurs ganz nahe kommt, fast als küsste er ihn. »Saint-Méard sagt, er kennt ihn. Diesen Bêche. Offenbar ein Mann, den man nie des Radikalismus verdächtigen würde. Er wirkt ganz unscheinbar, doch darunter, darunter ist er kalt wie Eis. Tötet, ohne mit der Wimper zu zucken. Saint-Méard nennt ihn den Rächer des Volkes. Hat das nicht eine gewisse Schönheit?«
    »Sind das die Pfeifen?« fragt Jean-Baptiste.
    »Ich habe sämtliche Pfeifen in dem Laden gekauft. Habe ihn völlig leergeräumt. Es gibt mehrere überzählige. Vielleicht möchtest du ja auch eine? Soll ich dir eine aussuchen?« Er lacht, fängt an, in dem Paket zu wühlen und sieht zum erstenmal seit Tagen glücklich, einfach glücklich aus.
     
    Als die Männer sich endlich eingefunden haben und wieder in der Grube anfangen, gibt es keinen einzigen ohne einen Pfeifenstiel aus Ton zwischen den Zähnen. Ihre Fähigkeit zu

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