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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Werk gestanden hatte, das Ungeheuer, das Monster aus dem mitternächtlichen Brown Derby, die Kreatur, die draußen, auf der anderen Seite der Straße, hinter der Mauer, in Kirchen herumlungerte.
    Jemand hatte einen Vorschlaghammer genommen und gut ein dutzendmal zugeschlagen. Das Gesicht, der Kopf, der Schädel waren eingeschlagen und zertrümmert; nur noch ein formloser Klumpen war übriggeblieben.
    Herr im Himmel, wisperte ich.
    War es dieses letzte, größte Verbrechen, das Roy dazu getrieben hatte, sich selbst zu zerstören?
    Oder hatte der Zerstörer den arglosen Roy inmitten seiner ruinierten Landschaften überwältigt und gehängt?
    Ich zitterte. Dann hörte ich wieder auf zu zittern.
    Man hatte die Tür zum Atelier weit aufgerissen.
    Ich zog mir die Schuhe aus und machte mich geräuschlos davon, um mich zu verstecken.
     

26
     
    Es war der Arzt für jeden Fall, der mittägliche Abtreibungsspezialist, der spritzengewaltige Medizinmann.
    Doc Phillips trat in den Lichtschein auf der anderen Seite des Ateliers, blickte sich um, sah die Zerstörung und entdeckte dann den aufgeknüpften Leichnam über sich; er nickte, als wäre dieser Tod für ihn nicht mehr als ein ganz alltägliches Unglück. Er ging hinüber, auf den zerstörten Städten herumtrampelnd, als handele es sich um ganz gewöhnlichen Abfall, unbedeutenden Müll.
    Als ich das sah, entfuhr mir ein Fluch. Ich wich zurück und hielt mir den Mund zu.
    Dann spähte ich durch einen Ritz in der Dekoration.
    Der Doktor war in seiner Bewegung erstarrt. Wie ein Rehbock auf der Waldlichtung äugte er durch seine metallgerahmte Brille, benutzte seine Nase ebenso wie die Augen zur Witterung. Seine Ohren schienen links und rechts am rasierten Schädel zu zucken. Er schüttelte den Kopf. Dann schlurfte er weiter, durch Paris und London, bis er bei dem grauenhaften, auf halber Höhe baumelnden Ding angekommen war und es näher untersuchen konnte …
    In seiner Hand blitzte ein Skalpell auf. Er zog sich eine Truhe aus der Requisite herbei, machte den Deckel auf, zerrte sie unter den Gehenkten, schnappte sich einen Stuhl, stieg darauf und schnitt das Seil über Roys Genick ab.
    Es polterte furchterregend, als Roy auf den Truhenboden schlug.
    Wieder mußte ich husten, diesmal vor Schmerz. Ich rührte mich nicht mehr. Diesmal hatte er mich bestimmt gehört, kam schon auf mich zu, mit einem stahlkalten Lächeln in der Hand. Krampfhaft hielt ich den Atem an.
    Doch der Doc sprang vom Stuhl und beugte sich nieder, um den Körper zu untersuchen.
    Die Eingangstür flog weit auf. Ein Geräusch von Schritten und Stimmen.
    Der Putztrupp war gekommen. Ich wußte nicht, ob sie immer um diese Zeit kamen, oder ob man sie eigens herbestellt hatte.
    Doc knallte den Deckel mit aller Wucht zu.
    Ich steckte mir die Finger in den Mund und biß mir auf die Knöchel, um den Ausbruch der Verzweiflung zu unterdrücken.
    Das Schloß an der Truhe schnappte zu. Der Doktor gestikulierte.
    Ich zog mich zurück, als der Arbeitertrupp damit begann, mit Schaufel und Besen durch die Dekoration zu toben; sie verwandelten die Mauern von Athen, die Bibliotheken von Alexandria und Bombays Krishnaschreine in einen einzigen großen Schutthaufen.
    Es dauerte knapp zwanzig Minuten, um das Lebenswerk Roy Holdstroms zusammenzufegen und wegzukarren; auf einem quietschenden Rollwagen nahmen sie auch die Truhe mit, in der, zusammengedrückt und unsichtbar, der Körper meines Freundes lag.
    Als die Tür zum letzten Mal ins Schloß fiel, stieß ich einen verzweifelten Schrei der Verbitterung aus, gegen die Nacht, gegen den verdammten Doktor, gegen die sich entfernenden Männer. Ich rannte umher, wollte mit den Fäusten auf die Luft einschlagen und blieb doch mit tränenblinden Augen stehen. Erst nachdem ich lange Zeit von Schluchzen geschüttelt worden war, fiel mir etwas Unglaubliches auf.
    An der Nordwand des Ateliers lehnte ein Stapel miteinander verbundener Türrahmen, ähnlich den Türen und Fassaden, durch die ich mit Roy gestern gehetzt war.
    Mitten auf der Schwelle des ersten Türrahmens lag eine mir sehr vertraute Kiste. Es sah so aus, als hätte sie jemand versehentlich liegengelassen. Ich jedoch wußte, daß sie ein Vermächtnis war.
    Roy!
    Mit einem Satz war ich dort, blickte hinunter und berührte die Schachtel. Raschel-Klopf.
    Was immer da drin sein mochte – es raschelte.
    Bist du da drin, du Leiche von der Leiter, im Regen auf der Mauer?
    Raschel-Klopf-Murmel.
    Verdammt, dachte ich, werde ich dich

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