Friedhof für Verrückte
denn niemals wieder los?
Ich packte die Kiste und rannte davon.
Noch bevor ich draußen war, mußte ich mich übergeben.
Mit geschlossenen Augen wischte ich mir den Mund ab, dann machte ich langsam die Tür auf. Ganz hinten auf der Studiostraße bogen die Arbeiter um die Ecke, Richtung Tischlerei. In dieser Richtung befand sich auch der große, eiserne Verbrennungsofen.
Doc Phillips ging hinter ihnen her und gab unhörbare Anweisungen.
Ich schauderte. Wäre ich nur fünf Minuten später hier aufgetaucht, dann hätte ich ihn genau in dem Moment überrascht, als er die Leiche und Roys zerstörte Weltstädte inspizierte. Meine Leiche wäre wohl zusammen mit der von Roy in die Truhe gewandert!
Hinter Atelier Nummer 9 wartete mein Taxi.
Nicht weit entfernt befand sich eine Telefonzelle. Ich stolperte hinein, warf eine Münze ein und rief die Polizei an. Eine Stimme erklang: »Ja bitte? Hallo, ja, hallo, ja bitte!«
Ich schwankte in dem Telefonhäuschen wie ein Betrunkener und starrte den Hörer an, als wäre es eine tote Schlange.
Was hätte ich sagen sollen? Daß man ein Atelier sauber gemacht und geräumt hatte? Daß momentan wahrscheinlich ein Verbrennungsofen seine Tätigkeit aufnahm, lange bevor Streifenwagen und Sirenen zu Hilfe eilen konnten?
Und was dann? Ich ganz allein auf weiter Flur, ohne Schutz, ohne Waffen, ohne Beweise?
Ich, gefeuert und vielleicht sogar tot, als Dauerleihgabe über die Mauer an die Gräber dort vergeben?
Nein!
Ich stieß einen Schrei aus. Jemand bearbeitete mich mit einem Hammer, bis mein Schädel nur noch roter Lehm war, zerfetzt wie das Fleisch des Monsters. Mit aller Macht wollte ich aus der Zelle heraus, wäre beinahe an meiner eigenen Angst vor diesem zugesperrten Sarg erstickt, der nicht mehr aufging, egal wie fest ich gegen die Scheiben donnerte.
Dann wurde die Tür des Telefonhäuschens weit aufgerissen.
»Sie drücken in die falsche Richtung!« sagte mein Taxifahrer.
Ich stieß ein irres Lachen aus und ließ mich von ihm herausziehen.
»Sie haben da etwas vergessen.«
Er brachte mir die Schachtel, die in der Zelle auf den Boden gefallen war.
Flüster-Raschel-Klopf.
»Ach ja«, sagte ich, »der da.«
Während wir aus dem Studiogelände herausfuhren, legte ich mich auf dem Rücksitz hin. An der ersten Querstraße außerhalb des Studios fragte mein Fahrer: »In welche Richtung soll ich abbiegen?«
»Links.« Ich grub die Zähne in mein Handgelenk. Der Fahrer beobachtete mich im Rückspiegel.
»Meine Güte«, sagte er, »Sie sehen furchtbar aus. Wird Ihnen schlecht?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ist jemand gestorben?«
»Tot, richtig.«
»Da wären wir, Western Avenue. Soll ich nach Norden fahren?«
»Nach Süden.« Zu Roys Appartement auf der Vierundfünfzigsten. Und dann? Wenn ich erst einmal dort war, würde mir dann nicht vielleicht das Rasierwasser des guten Doktors in die Nase stechen, das wie ein unsichtbarer Vorhang im Flur hing? Und seine Arbeiter, die am Ende eines dunklen Korridors darauf warteten, mich wie ein ausgedientes Möbelstück abzuholen und zu verschleppen?
Ich erschauerte und fragte mich, wann ich endlich erwachsen würde. Ich lauschte in mich hinein und hörte das Geräusch zerspringenden Glases.
Meine Eltern waren vor langer Zeit gestorben, und ihr Tod schien nicht so grauenhaft.
Aber Roys? Ich hätte nie gedacht, daß es eine so niederschmetternde Angst gab, einen Schmerz, so groß, daß man darin ersaufen konnte.
Plötzlich fürchtete ich mich davor, zum Studio zurückzukehren. Die wunderliche Architektur all dieser zusammengenagelten Länder stürzte über mir zusammen, um mich zu erschlagen. Auf jeder Südstaaten-Plantage, in jedem Dachboden in Illinois sah ich nichts als irre Verwandte und zerschlagene Spiegel, in jedem Wandschrank hingen an jedem Haken strangulierte Freunde.
Das mitternächtliche Geschenk, die Spielzeugkiste mit dem tödlich verzerrten Pappmachegesicht, lag auf dem Boden des Taxis.
Raschel-Klopf-Flüster.
Ein Donnerschlag fuhr durch meine Brust.
»Nein, Fahrer!« rief ich. »Hier abbiegen. Zum Wasser. Zum Meer.«
Als mir Crumley die Tür öffnete, betrachtete er mein Gesicht und ging dann schnurstracks zum Telefon.
»Machen Sie fünf Tage krank daraus«, sagte er.
Er kam mit einer gut mit Wodka gefüllten Karaffe in den Garten zurück, wo ich die gute Salzluft mit tiefen Zügen in mich einsog. Ich versuchte, die Sterne zu sehen, doch der Nebel zog dick vom Meer her über das Land. Crumley warf einen
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