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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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lächelte Siri zu, und in ihren Augen stand der Satz Erzähl mir eine romantische Geschichte . »Er ist auch kein Kind, ganz bestimmt nicht. Siri weiß das.«
    Siri merkte, dass sie rot wurde. Doch, dachte sie. Doch, Lena. Er hat recht. Lenz ist ein Kind. Er ist acht Jahre alt. Jedenfalls manchmal.
    »Aber was denken Sie über diese andere Sache?«, fragte Siri. »Ist er … ist er ein Mörder?«
    »Gott.« Der Direktor schüttelte sich. »Das fragen Sie mich? Sie kennen ihn besser, wenn ich das richtig verstehe.«
    »Nein«, murmelte Siri. »Ich kenne ihn überhaupt nicht. Und ich muss es herausfinden. Ob er jemanden umgebracht hat.«
    »Ja«, sagte der Direktor. »Glauben Sie es denn?«
    »Ich … wäre dankbar für eine geliehene Hose«, sagte Siri und stand auf. »Allein schon, weil diese rutscht.«
    Sie hatten einander ihre Fragen nicht beantwortet, der Direktor und sie.
    Als sie die Datsche verließ, in Lenas Hose und mit dem noch immer feuchten geblümten Mantel über Lenz’ Hemd, fiel ihr etwas ganz anderes ein. Sie blieb in der Tür stehen.
    »Lena meinte, Sie könnten etwas über die Kirchenfenster wissen?«, sagte sie. »Ich habe alle zusammen bis auf das letzte. Können Sie sich erinnern, was auf dem letzten Fensterbild zu sehen war? Wenn man so zählt, dass das erste das vordere war, meine ich … die Flucht nach Ägypten … und wenn man dann einmal um die Kirche herumgeht …«
    »Das letzte Bild?« Der Direktor lächelte. »Das ist einfach. Das letzte Bild war natürlich die Kreuzigung. Es war das letzte in der Reihe, aber es war das erste, das man sah, wenn man durch das Friedhofstor kam.«
    Über die Felder läuteten jetzt die Glocken der kleinen Kirche.
    »Danke«, sagte Siri. »Ich muss los.«
    Als sie nach ein paar hundert Metern zurückblickte, standen die beiden vor dem Gartentor ihrer Datsche und sahen ihr nach: Lena und ihr Schwiegervater. Lena hielt das Baby wieder auf dem Arm. Der Direktor hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt, und sie schien sich ganz sachte an ihn zu lehnen.
    Sie rannte. Sie rannte den Weg entlang durch das Wellenland, durch den August, der ein Juni war, sie rannte, ohne zu wissen, warum. Rannte sie vor etwas weg oder auf etwas zu? Oder rannte sie nur, um das Blut in ihren Ohren rauschen zu hören; um zu wissen, dass sie lebte, im Gegensatz zu Frau Henning und Aljoscha? Oder rannte sie, damit sie nicht mehr denken musste? Erst, als sie wirklich nicht mehr weiter konnte, ging sie langsamer.
    In dem Moment, in dem sie bei der Kirche ankam, spuckte die doppelflügelige Tür die kleine Beerdigungsgesellschaft auf den Friedhof. Diesmal hatte es einen Gottesdienst gegeben; Siri hatte ihn verpasst. Sie stellte sich zu dem Grüppchen und nickte Herrn Umbrich zu, dem Pfarrer, Werter, Frau Hartwig.
    »Sie waren nicht da, letzte Nacht«, flüsterte Frau Hartwig und stellte sich neben sie. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    »Doch, doch, ich war da«, flüsterte Siri zurück, »ich bin nur sehr spät nach Hause gekommen und sehr früh wieder losgegangen …« Sie sah in Frau Hartwigs Augen hinter der runden Brille, dass sie ihr nicht glaubte.
    Sie sah die Blicke von anderen kurz zu ihr gleiten und auf ihr ruhen, in ihren Augen eine aufflackernde Frage. Frau Hartwig hatte natürlich allen erzählt, dass Siri Pechten in dieser Nacht nicht in ihrem Bett geschlafen hatte. Aber die Flackerblicke galten nicht nur ihr, sie wanderten zurück zu etwas anderem, das mit Verwirrung betrachtet wurde. Zuerst dachte Siri, es wäre der Sarg, in dem Frau Henning lag.
    Sie hatte sich gut gehalten, mehrere Wochen tiefgekühlt in der Pathologie. Wenn es stimmte, was Siri hatte flüstern hören, hatte ein Streit in der Verwandtschaft zu der Verzögerung geführt. Vermutlich war es darum gegangen, wer die Kuchenrezepte erbte. Siri wollte über diesen Gedanken lachen, aber irgendwie blieb ihr das Lachen in der Kehle stecken. Frau Henning trug keine Kittelschürze mehr, sondern ein langes weißes Kleid, das ihre Füße bedeckte, und Siri fragte sich, ob es das Kleid war, in dem sie geheiratet hatte. Es war ein merkwürdiger Gedanke, dass diese ältliche, misstrauische Person mit ihren strikten Ansichten über Blumenzwiebelzucht und Saatkartoffeln einmal ein junges Mädchen gewesen war, voller Weiße-Kleider-Romantik, voller Hoffnung auf irgendeine Zukunft. Vielleicht sogar voller Hoffnung, das Dorf zu verlassen. Das Dorf war zu eng und zu dunkel, der Direktor hatte recht. Man klemmte darin fest,

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