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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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draußen auf den Wellen, noch nicht weit entfernt. Er hatte sich also nicht getäuscht. Sie wollte zu der Bucht.
    »Iris!«, schrie er. »Iris!«
    Und dann sprang er ins Wasser. Das Wasser war Chaos, war eine Unterwelt aus schwarzen feindlichen Strömungen, es nahm ihm den Atem – aber er erreichte das Boot.
    Es schaukelte jetzt umgekippt auf den Wellen, hin und her geworfen von Gischt und Wind. Er war sich nicht sicher, ob es eben noch richtig herum im Wasser gelegen hatte. Und Iris – Iris war nicht da, nirgendwo. Da tauchte er, gepackt von einer plötzlichen schrecklichen Ahnung, tauchte unter das Boot und streckte die Hand aus, fand etwas, einen Arm, einen Körper, zog – doch der Körper löste sich nicht, etwas hielt ihn dort unter dem Boot fest.
    Er tauchte auf, schnappte nach Luft, tauchte wieder. Ein Seil. Da war ein Seil. Natürlich, sie hatten immer ein Seil im Boot gehabt, um das Boot irgendwo festzumachen; am Steg, an einem Ast am Ufer, am Pfahl eines Stellnetzes weiter draußen, wenn sie allein sein wollten auf der Welt und auf dem Wasser ein Picknick machten. Die harmlosen, fröhlichen Bilder ihres gemeinsamen Sommers überfielen ihn mit aller Macht, und er zerrte an dem Seil, fand Knoten darin und versuchte, sie zu lösen. Es ging nicht. Er versuchte, das Boot umzudrehen, um Iris mit dem Boot nach oben zu bringen, aber auch das gelang ihm nicht, der Sturm und die Wellen waren zu stark für ihn, er war nicht älter als acht Jahre. Er schaffte es, beim dritten oder vierten Anlauf, einen der Knoten zu lösen. Und dann den nächsten. Und den nächsten. Er zog sie unter dem Boot hervor, hievte sie auf den umgekippten Holzrumpf.
    Er schrie, obwohl er nicht mehr schreien konnte:
    Iris!
    Iris!
    Sie hörte ihn nicht. Das Mondlicht kehrte von irgendwoher zurück, und er sah sie da liegen, blass und still. Sie trug das alte Hemd, das er ihr mitgegeben hatte, damit sie sich an ihn erinnerte. Was auch immer sie sonst getragen hatte, die Wellen hatten es ihr vom Leib gezerrt und davongespült, er sah nur ihre bloßen weißen Kinderbeine, nackt und hilflos wie die Beine eines großes Insekts.
    Er kletterte zu ihr auf das Boot, versuchte, sie zu wecken, sie zu sich zu bringen, drückte mit beiden Händen auf ihre Brust, immer wieder, weil er in Winfrieds Fernseher gesehen hatte, dass man das tut, um Leute wiederzubeleben. Iris rührte sich nicht, atmete nicht, lag nur da, weiß und seltsam fremd.
    Er saß lange so neben ihr. Es dauerte, bis er begriff, dass alles so bleiben würde. Dass sie sich nie mehr aufrichten und mit ihm sprechen wollte. Da schüttelte er sie und schrie irgendetwas, das nichts bedeutete und nichts nützte.
    Warum hatte sie das getan? Warum hatte sie sich mit dem Seil im Boot angebunden?
    Damit sie im Sturm nicht herausfiel?
    Es war ein typischer unpraktischer Irisplan, beinahe lachte er darüber, du hast Ideen! Das ist genauso praktisch wie das Versteck im Kartoffelkeller, weißt du noch – dann fiel ihm ein, dass er nicht mehr mit ihr darüber lachen konnte, und er lachte nicht. Alles, was ihm geblieben war, waren die Worte auf ihrem Zettel, der jetzt irgendwo im Meer schwamm, er hatte ihn verloren.
    Du musst mich nicht suchen, nicht jetzt. Ich wollte nur, dass du das weißt! Dass ich da bin! Wir treffen uns morgen. Du weißt schon, wo. Wo wir immer waren …
    Und eine schreckliche Ahnung stieg in ihm auf. Hatte sie es gewollt? Das hier? Wo wir immer waren … es war vielleicht nicht die Bucht. Es war der Friedhof, auf dem sie gespielt hatten. Nein, sagte er sich, nein, Unsinn, es war ein Unfall, nur ein Unfall … aber wer ist schuld? Wer ist schuld daran, dass Iris zurückgekommen und mit dem Ruderboot hinausgefahren ist? Zu wem wollte sie zurück, sich mit wem treffen? Wer ist schuld?
    Ich bin schuld, ich allein, ich, ich.
    Er ließ sich vom Holzkörper des Bootes gleiten, der Sturm war dabei, sich zu legen. Es war einfacher, zurückzuschwimmen; es kam ihm schrecklich vor, wie einfach es war.
    Wohin würde er gehen, klitschnass, verräterisch nass – sag keinem etwas  – wohin würde er gehen, der Schuldige – ich wollte nur, dass du das weißt! Dass ich da bin  – wohin konnte er sich wenden – Lenz! Ich bin zurück  – wohin? Annelie war die Einzige, die ihm einfiel. Aber er würde ihr nichts sagen, gar nichts.
    Er konnte mit keinem über das sprechen, was geschehen war. Nie.
    †   †   †
    Er spürte Grund unter den Füßen, er stand.
    Er hatte es

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