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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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durch ihre Augen ins Hirn sickern: auch hier hoher Maschendraht. Dahinter die ungeteerte Straße, die Hecken, die geduckten Häuser, deren wahre Dunkelheit man nur sah, wenn man die Augen schloss. Die Praxis des Arztes wäre hell und freundlich; Teil einer anderen Welt.
    Sie würde nicht zurückkehren, sobald sie in seinem Behandlungsraum saß. Besser, sie betrat den Behandlungsraum erst gar nicht.
    »Ich bin sicher«, sagte sie.
    Werter kroch unter der Hebebühne hervor, um Siri die Hand zu schütteln.
    Er setzte sie im Büro auf eine alte Eckbank, gab ihr einen lauwarmen Maschinenkaffee und ließ sich erzählen, was passiert war. Dann begutachtete er Siris Bein und schüttelte den Kopf.
    »Wenn ich das verbinden soll«, sagte er, »müssen Sie die Hose ausziehen.«
    »Ich dachte, Sie leihen mir das Verbandszeug, und ich mache es selbst? Zu Hause? Ich kriege das hin.«
    Werter ging vor ihr in die Knie und sah sie an, wie man ein Kind ansieht. Er sah sehr gepflegt aus für jemanden, der eben noch unter einem Auto gelegen hatte – mit seinen sorgfältig gekämmten silberweißen Locken, seinen ebenso silberweißen Augenbrauen und dem Hemdkragen, der ordentlich oben aus seinem Pullover ragte. Werter war ein durchaus gut aussehender Mann, auch wenn er vermutlich dreißig Jahre älter war als Siri.
    »Sie sehen nicht aus«, sagte er, »als würden Sie im Moment sehr viel hinkriegen.«
    »Nein«, sagte Siri. Er hatte recht. Sie war gekommen, um Fenster zu machen, und jetzt war sie dabei, sich in etwas zu verwickeln, das nichts mehr mit Fenstern zu tun hatte … Dann wurde ihr klar, dass er mit »im Moment« im Moment meinte und nicht mehr.
    »Sie zittern«, sagte er. »Und Sie kippen gleich um. Lassen Sie mich den Verband machen.«
    Siri nickte und begann, sich aus der nassen Jeans zu winden.
    Kaminski machte einen Versuch, ihr auch den Regenmantel abzunehmen, aber sie hielt den Mantel fest. »Schon gut, schon gut«, sagte er und hob die Hände. Nur den Schal wickelte Siri ab und wrang ihn aus. Sie fragte sich, ob er seinen vertrauten Geruch behalten hatte, trotz des Wassers.
    Sie ließ Werter die Wunde säubern und versuchte, Kaminskis Blicke auf ihre Beine zu ignorieren. Das Einzige, was Werter ansah, war die Wunde.
    »So«, sagte er. »Und jetzt bringst du sie schön nach Hause, ja?«
    Kaminski nickte.
    »Und … grüßen Sie mir das Friedhofskind, wenn Sie noch mal auf es fallen«, sagte Werter zu Siri, ohne zu lächeln. »Sagen Sie ihm, ich weiß, dass er mich verfolgt. Er kann also mit dem Versteckspiel aufhören.«
    »Versteckspiel?«
    Werter nickte. »Er steht jeden Abend vor der Werkstatt und folgt mir nach Hause.«
    »Warum?«
    »Fragen Sie ihn doch«, sagte Werter.
    Kaminski brachte Siri bis vor die Tür. Bis genau vor die Kellertür zu ihrer Wohnung. Er stieg mit ihr die Treppe hinunter, und offenbar glaubte er, sie würde ihn mit hineinnehmen.
    »Danke. Auf Wiedersehen«, sagte Siri. »Und … Sie sollten sich ein paar Haare wachsen lassen.« Sie nickte zu seinem kahl rasierten Kopf hin.
    Er steckte die Hände in die Taschen der Bomberjacke und musterte sie von oben herab, die Augen leicht zusammengekniffen. »Gefällt es Ihnen nicht, wie ich herumlaufe?«
    »Nein, doch«, sagte Siri, auf einmal war ihr unbehaglich. »Das ist Ihre Sache.«
    »Das will ich meinen«, sagte Kaminski. Dann beugte er sich ganz nah zu ihr. Er roch nach Aftershave, Motoröl und Zigaretten. »Was ist das für eine Sache mit Ihnen und dem Friedhofskind?«
    »Sache?«
    »Böse Zungen sagen, Sie laufen manchmal zusammen herum. Böse Zungen werden sagen, dass Ihr Unfall bei den Klippen kein Unfall war. Aber egal, warum Sie da runtergeklettert sind … es hätte schlimmer ausgehen können. Begreifen Sie nicht? Er ist gefährlich. Er hat Aljoscha umgebracht. Jeder weiß das. Und damals Carla Berg. Und Iris Weiß vermutlich auch.«
    »Mir ist wirklich kalt«, sagte Siri. »Ich würde jetzt gerne reingehen.«
    Kaminski sah sich um. Die Straße war leer.
    »Hören Sie wenigstens zwei Sekunden zu«, flüsterte er. »Die Berg, das war die Letzte, mit der er was hatte. Sie hat Urlaub gemacht hier, alleine, das Friedhofskind war achtzehn oder neunzehn, so was um den Dreh. Sie hat auch bei der Hartwig gewohnt. Und sie ist auch mit dem Friedhofskind herumgelaufen. Sie haben lange Spaziergänge gemacht, sind zusammen geschwommen; war ein warmer Sommer. Sie war älter als er, zwanzig Jahre vielleicht. Irgendwann hat sie gesagt, sie würde

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