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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Frau Ammerland. »Das Bild«, fügte sie hinzu. »Die Leute sehen aus wie auf dem Bild. Kommen Sie mit herein.«
    Siri nickte und folgte Frau Ammerland. Der Sarg stand neben dem Grab, hell glänzend, sonnig. Sein Deckel war geschlossen. Der Pfarrer lächelte Worte auf irgendwelche Angehörigen herab.
    »Wo ist Lenz?«, fragte Siri.
    Frau Ammerland deutete auf das Tor, aber sie sah nicht das Tor an, sie sah Siri an. Lenz? , sagte ihr Blick. Sie sind also beim Vornamen angekommen.
    Die Menge auf dem Friedhof verstummte, als die letzten Gäste, die keine Gäste waren, durch das Tor kamen. Sie kamen zu zweit, ein merkwürdiges Paar: Winfried, dessen massiger blinder Körper in einem zu engen, stockfleckigen Jackett steckte, dessen Knöpfe in der Sonne glänzten, als hätte er sie poliert. Und Lenz in seiner gewöhnlichen grauen Arbeitskleidung, der Winfried halb schleifte, halb trug. Er setzte Winfried bei der Bank am Tor ab.
    »Können wir?«, fragte der Pfarrer unsicher.
    Unter dem hellen Holz des Sarges lagen zwei Seile im Gras. Der Pfarrer bückte sich und nahm ein Seilende, Lenz nahm das andere. Kaminski und Werter fassten die Enden des zweiten Seils. Dann hievten sie den Sarg zur Grube hinüber und ließen ihn langsam hinab.
    Der Pfarrer räusperte sich und begann seine Rede.
    »Ich bin gebeten worden, heute hier zu sprechen, obwohl dies keine Predigt ist. Aljoscha Kovalski war kein gläubiger Mensch, und deshalb sind wir heute auch nicht in der Kirche versammelt, sondern in der … in der freien Natur. Aber der Herr nimmt alle seine Schäfchen zu sich auf, ganz gleich, ob sie Gläubige waren oder nicht. Der Herr ist gütig und verzeiht alles. Aljoscha Kovalski war ein Fischer, und wie ein Fischer in seinem Netz wird der Herr seine Seele zu sich holen …«
    Siri hörte nicht weiter zu. Sie versuchte, Lenz’ Blick aufzufangen, doch er sah noch immer nicht zu ihr herüber. Er war dabei, die beiden dicken Seile aufzurollen, ein Schlangenbändiger in Grau.
    Er stand jetzt wieder ein wenig abseits von den anderen.
    Und schließlich warf eine der Anverwandten Kovalskis die erste Handvoll Erde auf das Grab, die anderen traten zurück, und Lenz trat vor. Als dürften sie sich nie begegnen, der eine und die anderen. Niemand sprach, während er das Grab zuschaufelte.
    »So«, sagte Frau Henning endlich, »und nun gibt es Kaffee und Kuchen für alle. Aljoscha hätte sich gefreut.«
    »Er hätte sich mehr über ein Glas von was Richtigem gefreut«, murmelte der Umbrich, und die Männer lachten.
    »Kommen Sie«, sagte Frau Hartwig und drückte Siri auf einen Stuhl, und sie sah sich nach Lenz um, der auf Aljoschas Grab kniete, ganz allein, und mit bloßen Händen Blumen aus einem schwarzen Eimer darauf pflanzte. Seine großen Hände fassten die Blumen mit ihren Wurzelballen so vorsichtig wie ein Neugeborenes. Dann schoben sich Gesichter und Fragen zwischen Siri und dieses Bild, lächelnde Münder und einladende Augen.
    »Nehmen Sie doch ein belegtes Brot!«
    »Der Kuchen ist sehr gut!«
    »Aber dieser ist besser.«
    »Haben Sie sich denn schon eingewöhnt?«
    »Geht es gut mit den Fenstern?«
    »Wie geht es Ihrem Bein? Der junge Kaminski hat erzählt, Sie hätten sich verletzt …«
    »Bleiben Sie denn noch ein Weilchen?«
    »Ist die Gegend nicht wirklich schön?«
    »Hier gibt es noch eingelegte Gurken, ich habe sie selbst eingelegt …«
    »Erdbeerkuchen, dies ist Erdbeerkuchen. Die Kleinen, obendrauf, das sind richtige Walderdbeeren, sie wachsen oben bei den Klippen, unter den Kiefern …«
    »Ein Glas?«
    »Wirklich? Walderdbeeren, Frau Hartwig?«
    »Sicher, noch wachsen sie, Sie können nachsehen, Frau Henning … den Puderzucker fürs Bestäuben muss man erst gründlich sieben …«
    »Nehmen Sie das feine Mehl oder das grobe?«
    »Trinken Sie doch mit uns, Frau Pechten, bei so viel Kuchen braucht man einen Verdauungsschluck, was, und man muss auf die Toten trinken. Trinken Sie!«
    Siri dachte daran, dass Aljoscha ertrunken war, weil er mit zu viel Alkohol im Blut schwimmen gegangen war, aber sie sagte es nicht. Sie trank. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Neben ihr saß Karin, die hysterische Mutter. Die Trampolinkinder rannten irgendwo über den Friedhof.
    »Nächste Woche kommt er übrigens wieder«, sagte Karin. »Mein Mann. Er ist immer auf Montage …«
    »Auf alle Männer, die auf Montage sind!«, rief Kaminski.
    »Auf alle Männer, die zum Fischen rausfahren!«, rief einer der anderen Fischer.
    »Auf

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