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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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später gern auf dem Friedhof hier liegen, nur so dahingesagt, der Umbrich und ein paar andere Leute haben das gehört. Und dann hatte sie einen Badeunfall. Bade-Unfall. Trieb da draußen vor dem Steg. Nackt. Sie ist wirklich hier begraben worden. Sie wollte nur ein paar Wochen bleiben, verstehen Sie, und dann ist sie für immer geblieben. Ihr Mann hatte nichts dagegen, dass sie hier begraben wird … er ist später nicht mehr oft hier gewesen … Herr Dr. Berg. Sie war hübsch, die Berg, hatte pechschwarzes Haar. Meistens hat sie ihr schönes Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckt. Gab ihr was Geheimnisvolles. Keiner weiß, was sie an dem jungen Fuhrmann gefunden hat. Ich hätt ja gern mal Mäuschen gespielt bei den beiden im Bett … war wohl ein Abenteuer für sie. Ein zu gefährliches Abenteuer. Jetzt liegt sie unter der Erde und hat nichts mehr davon.«
    Siri atmete tief ein und wieder aus.
    »Wie alt waren Sie damals?«, fragte sie und drehte den Schlüssel in der Tür der Ferienwohnung um.
    Kaminski hakte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans und schien zu überlegen.
    »Ein Jahr? Zwei?«
    »Für einen Zweijährigen hatten Sie ein rasches Auffassungsvermögen, was«, sagte Siri und schloss die Tür auf. Sie ärgerte sich auf einmal so sehr, dass sie vergaß, Angst vor Kaminski zu haben.
    »Was?«, fragte er verständnislos.
    »Ich meine: Sie haben die ganze Geschichte doch nur gehört. Von irgendwem. Von den Leuten. Danke fürs Mitnehmen.« Damit schlüpfte sie durch die Tür, schloss sie so, dass man es nicht gerade als Zuwerfen bezeichnen konnte, und lehnte sich auf der Innenseite dagegen.
    Sie ließ sich auf den Fußboden gleiten, legte das Gesicht auf die bloßen Knie, ignorierte den Schmerz in der Wunde und schloss die Augen. Und merkte, dass sie heulte.
    Sie wollte nicht, dass Lenz irgendjemandem umgebracht hatte, weder Carla Berg noch Iris noch Aljoscha. Sie wollte, dass sie alle unrecht hatten, die Leute, die Saatkartoffeldiskutierer, die Kuchenfrauenfraktion, die Bewohner der dunklen misstrauischen Häuser.
    Sie wollte es zu sehr. Sie wurde irrational.
    Sie stand auf, zog eine trockene Hose an und kochte Tee in der Streublümchenkanne.
    »Alles ist schön, und alles ist gut«, flüsterte sie. »Schau – die Welt ist voll von Kannen mit Streublümchen, bunten Fensterbildern. Muschelsammlungen. Blumensträußen. Hör doch auf, zu heulen, Siri. «
    †   †   †
    Zwei Tage später rief der Pfarrer im Haus Fuhrmann an. Aljoscha würde, rasch jetzt, endlich bestattet werden. »Wird Zeit, dass der arme Kerl unter die Erde kommt«, sagte der Pfarrer in einem Versuch, jungdynamisch und unbekümmert zu klingen. »Ich habe der Familie geraten, ihn einäschern zu lassen … wenn einer so lange im Wasser gelegen hat, na ja … aber sie waren dagegen …«
    »Was … hat die Pathologie gesagt?«, fragte Lenz vorsichtig. »Woran ist er gestorben?«
    »Wissen Sie das nicht?« Der Pfarrer klang erstaunt. »Ertrunken, unter Alkoholeinfluss. Passiert wohl häufig in der Gegend.«
    »Die Leute hier sagen, es hätte vielleicht jemand nachgeholfen.«
    »Ihm geholfen, zu trinken?« Der Pfarrer lachte, aber sein Lachen war weniger sorglos, als es vielleicht sein sollte. »Die Umstände helfen natürlich. Er war Fischer, oder? Vielleicht lief der Verkauf schlecht …«
    »Nein«, murmelte Lenz. »Nichts lief schlecht. Er hatte die Kaninchen …«
    »Herr Fuhrmann, ich will ganz ehrlich sein. Ich weiß wenig über Aljoscha Kovalski. Nichts, eigentlich. Seine Schwester hat mit mir gesprochen, sie wollte, dass ich bei der Beerdigung etwas sage. Aber sie wohnt nicht am Ort … hat ihn selber schon lange nicht mehr gesehen. Wo wir schon bei den Kaninchen sind … können Sie mir etwas mehr über ihn sagen? Etwas, das ich in meiner Ansprache verwenden könnte?«
    »Nein«, sagte Lenz und legte auf.
    Winfried hieb auf den Küchentisch, als er von der Sache erfuhr, grimmig und seltsam zufrieden. »Jetzt wird sie also wieder angeworfen, die große Verrottungsmaschine.« Er fuhr mit seinen Händen über die Tischplatte, seine Finger liebkosten die Kerben darin wie ein zärtlicher Liebhaber. »Hätte nicht gedacht«, sagte er heiser, »dass noch einer vor mir da begraben wird. Ha.«
    »Du stirbst nicht so schnell«, sagte Lenz.
    »Nein, sieht nicht so aus, verdammt«, sagte Winfried. »Und du hast mich am Hals. Junge, auf Aljoschas Beerdigung will ich was Anständiges anziehen, ja? Da hängt noch das

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