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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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zuletzt aus der Sache noch raus. Am Ende ging er zwar in den Westen, aber im Westen wimmelte es nur so von Nazis und Geldsäcken, und wer ein Nazi gewesen war, wurde sofort im Westen ein Geldsack. Der Vater mochte irgendwann über die Kalte-Kriegs- und Präsidenten-Witze nicht mehr allein lachen, und wenn er seine Schallplatten auflegte, wurde seine Frau davon krank, weil es Negermusik war und sie daran denken mußte, wie sie bei den Weltjugendfestspielen alle gedacht hatten, er sei verhaftet worden oder womöglich ganz abgehauen, und wenn die Mutter etwas auf den Tod ängstigte und ganz krankmachte, dann war es der Gedanke, er könnte abhauen und irgendwann einmal wirklich wegbleiben, am Ende nach Amerika, zu den Negern, dem Plastikzeug und den künstlichen Sitten.
    Wenn wir uns vorstellten, Wasa und ich, vor dem Einschlafen, während von drüben die Musik durch die Wand rieselte, er würde nach Amerika abhauen, weil er manchmal so träumerisch davon sprach, daß wir dachten, womöglich macht er es wirklich, dann stellten wir uns vor, er würde in Amerika verbotene Negermusik machen, am liebsten auf einem Saxophon.
    Wenn von zweien einer Heimweh hat, und der andere will nach Amerika, passen sie einfach nicht zusammen, sagten wir, und sie sagten es auch. Manchmal sagte der Vater im Spaß, weißt du, Irene, im Grunde deines Herzens bist und bleibst du ein waschechter oller Nazi, und wir erschraken, weil wir es schon schwierig genug fanden, Ostkinder zu sein, und es wäre entsetzlich gewesen, zusätzlich auch noch Nazikinder zu sein, aber dann sagten wir uns wieder, daß man nicht beides zugleich sein kann. All dies war schwer zu verstehen, und wir lagen oft im Bett lange wach und erzählten uns immer wieder, was wir gehört und verstanden hatten, aber es war kläglich wenig, weil wir alles nur bröckchenweise erfuhren und dann zusammenzulegen versuchten, aber niemals fanden wir jemand, der es uns mal am Stück und im Ganzen erklärt hätte, die anderen Kinder in der Siedlung schon gar nicht, am ehesten noch die großen Jungen in der Siedlung, aber die redeten nur von oben nach unten mit Mädchen, und wir mochten sie nicht direkt fragen, weil das leicht peinlich wurde und sie uns zeigten, was sie von Mädchen hielten; die anderen Mädchen fielen gleich aus, weil die Mädchen in der Siedlung und in der Schule tuffige rosa Plastikunterröcke anhatten und schwarze Lackschuhe mit Riemchen, sie sahen wie Ballett-Tänzerinnen aus oder wie Eisprinzessinnen, und Eisprinzessinnen kann man nicht nach den Nazis und dem Osten ausfragen, weil sie viel zu schön sind, als daß sie überhaupt wüßten, was das ist, und als die Eisprinzessinnen später irgendwann genug von den Plastikunterröcken hatten, zogen sie Ami-Hosen an, bekamen Reitunterricht und kauten in der Schule Kaugummi; sie malten Pferdeköpfe und schrieben mit grüner Tinte eine dicke Schrift, die bei manchen nach rechts, bei den meisten nach links kippte, und Wasa und ich waren auch dann noch Ostkinder ohne Lieblingspferde und hatten als Ostkinder eine dünne steile Schrift mit blauer Tinte; wir trugen Schottenröcke über Kniestrümpfen, die immer rutschten, oder Strumpfhosen, die die Mutter abends am Knie stopfte, und während sie die Knielöcher mit einem Stopfei stopfte, das sie von ihrer Mutter aus dem Osten hatte, wurde sie auch noch krank von der Negermusik. Den Vater konnten wir schon gar nicht nach all den komplizierten Angelegenheiten fragen, weil wir zwar seit den Schmalzbroten und dem Geheimnisalter vermutlich in der Sache auf seiner Seite waren, aber die Stiefmutter mußten wir unter allen Umständen vermeiden. Seit der Vater die Negermusik hörte, befürchteten wir, daß er eine amerikanische Stiefmutter für uns in Vorbereitung hatte, womöglich sogar eine Neger- Stiefmutter, und eine Ami-Stiefmutter durfte uns nicht passieren. Ausgeschlossen.
    Dabei wäre gerade eine Ami-Stiefmutter einigermaßen aufregend gewesen, wir fanden sie in gewisser Weise sogar äußerst verlockend, weil wir auf die Art an Kaugummis und allerhand anderes künstliches Zuckerzeug herangekommen wären, das es bei uns nicht gab, und auch noch an andere Sachen, von denen wir in unserer Siedlung höchstens träumen konnten; die Amis in der Siedlung nebenan saßen im Sommer immer alle zusammen draußen vor ihren Häusern auf der Wiese, und wenn sie fertig Ball gespielt hatten, fingen sie an, Fleisch und Würstchen zu grillen, und es gibt nichts Besseres als an Sommerabenden den

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