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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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Abspringen machen konnte, und an einen ganz bestimmten Birnbaum, von dem jemand gesagt hatte, er sei veredelt; als ich das sagte, drehte die Mutter den Idioten von Ulbricht im Radio ab und sagte, Deutschland ist überhaupt ein schönes, das schönste Land, das ich kenne, Deutschland hat die allerschönsten Landschaften, die sich ein Land nur wünschen kann, andere Länder haben nicht so viele verschiedene schöne Landschaften wie Deutschland, und dann sagte sie weiter, denkt nur, Kinder, all die schönen Landschaften, die wir schon gesehen haben. Ich dachte ganz fest an die Teppichstange hinterm Haus. Von den Alpen, sagte sie, die schöne Donau und die Donau-Auen, der Neckar, der Vater Rhein bis hoch hinauf in den Norden, bis zur Elbe und zur friesischen Nordsee und Ostseeküste, was das für schöne Landschaften sind. Wasa schaute auf ihre Hausschuhe, und ich dachte, was heißt das eigentlich, wenn ein Birnbaum veredelt ist, weil ich nur das Wort kannte, aber nicht wußte, was es bedeutet. Die Mutter zählte manchmal die schönen Landschaften auf, sie kannte alle Flüsse, die da hindurchfließen, und sie zählte sie immer von unten nach oben. Wenn wir Stadtlandfluß spielten, schrieb sie auch Flüsse hin, die sonst nicht vorkamen. Aber wir wußten genau, daß die Nazis sie in diesem Lied gehabt hatten, und schließlich hatten die Nazis den Krieg gemacht. Und wenn wir dann vor dem Einschlafen darüber sprachen, sagten wir nichts vom Rhein, aber manchmal sprachen wir über die Nazis, weil alle über die Nazis sprachen, nur eben in einer so undeutlichen Art, daß wir nichts Genaues verstanden; immerhin wußten wir aber sicher, im Osten gab es keine Nazis, weil sie im Osten gegen die Nazis waren, also konnte die Mutter wohl keiner sein; andererseits waren wir inzwischen aber in den Westen gegangen, und der Vater sagte, der Westen wimmelt nur so von Nazis, und wenn wir fragten, wieso, weil wir dachten, die Amis hätten den Westen von Nazis befreit, erklärte er uns, daß alle ehemaligen Ost-Nazis sich entweder aufgehängt oder, wenn sie Familien hatten, erst der Reihe nach die ganze Familie und zuletzt oft auch noch sich selbst erschossen hatten, und die ganz Vornehmen hatten Gift gegessen, und wer aber von den Nazis ein Automobil gehabt hatte, war damit schnell noch nach Kriegsende gegen die Wand gefahren, der Rest hatte Beine gemacht und gesehen, daß er schleunigst in den Westen kam, sobald nach dem Krieg die Russen angerückt waren, so daß die Russen zum Erschießen schließlich nur noch einen Kommunisten fanden, den Knoll, diese Idioten, und den erschossen sie dann, während auf der anderen Seite die Nazis gemütlich ihre Ami-Kaugummis kauten. Bei uns wurden immerhin keine Kaugummis gekaut; wenn wir einen schlechten Geschmack im Mund hatten, putzten wir uns die Zähne oder spülten den Mund mit Mundwasser aus; die Mutter war gegen die amerikanischen Sitten, weil das meiste, was aus Amerika kam, bloß Plastik und künstliches Zuckerzeug war.
    Irgendwann hatte der Krieg in dieser Wohnung angefangen, sich auf die amerikanischen Sitten und die amerikanischen Schallplatten auszudehnen, die der Vater sich, seit er Geheimnisse hatte, neuerdings kaufte. Alle paar Tage kam er mit Schallplatten nach Hause, und wenn er zu Hause blieb, legte er sich abends aufs Sofa, sah sich die Decke an, rauchte eine Zigarette an der anderen und hörte eine Platte nach der anderen. Manchmal sagte er, wenn sie nicht solche Idioten wären und nicht den verdammten Krieg da drüben machten, ginge ich am liebsten nach Amerika, es muß doch irgendwo auf der Welt noch ein Land zu finden sein, in dem man als freier Mensch leben kann.
    Wir kannten die Geschichte, wie der Vater von den Weltjugendfestspielen in Ostberlin abgehauen war, wo sie als Chor hingefahren waren und alle ihre Ostlieder singen mußten, und während die anderen die Ostlieder gesungen hatten, war er nach Westberlin abgehauen und hatte verbotene Ami- Musik gekauft. Negermusik, sagte die Mutter. Alle im Chor machten sich Sorgen, weil er weg war und sie für ihn mitsingen mußten, sie dachten natürlich, er wäre verhaftet worden oder würde ganz drüben im Westen bleiben, deshalb hatte sich besonders seine spätere Frau sehr Sorgen gemacht, schließlich kam er aber doch wieder, und dann hätte er eigentlich gleich doppelt verhaftet werden müssen, einmal weil er im Chor nicht mitgesungen hatte, und dann noch mal wegen der Platten, er wurde ins Verhör genommen, aber irgendwie kam er

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